Vorgestern sah ich auf Facebook den verzweifelten Aufruf meiner Freundin und Journalistin F. Sie suchte nach ein paar Statisten, männlich, weiblich, egal welchen Alters, für ein Fotoshooting. Da ich ausnahmsweise nichts zu tun hatte, und weiß wie es ist, wenn man kurzfristig nach Leuten sucht, und das ganze auch noch nicht bezahlt ist, sagte ich zu.
Es sollte sich als eine sehr lustige Stunde erweisen.
Die F. arbeitet für ein Verlag der eng mit der Stadt Luxemburg zusammenarbeitet und jeden Monat Satdtmagazin ‘City’ heraus bringt. In der nächsten Ausgabe werden die neuen Hybrid Busse der Stadt vorgestellt, die noch sparsamer und noch leiser sind als alle Hybriden davor.
Also verabredeten wir uns für 11:30 in Clausen wo uns der nigelnagelneue Bus abholen sollte. Der Bus sieht von außen genau gleich aus wie alle anderen städtischen Busse, mit dem gleichen Streifenmuster, das sie so unverkennbar macht.
Innen roch er wie neu gekauftes Auto und war quitschsauber. Alle Sitze haben inzwischen ein Anschnallgurt, über die man streiten kann, ob sie wirklich nötig sind.
Der Fotograph war sehr unkompliziert und wusste genau was er an Motiven wollte. Die F. hatte auch eine Mutter mit Baby und neumodischem SUV Kinderwagen aufgetrieben, um zu zeigen, dass es kein Problem ist damit ein- und auszusteigen. Der Fotograph setzte uns bald hierhin, bald dahin und ich sollte mich schlafend stellen um zu zeigen, wie leise das Gefährt ist.
Irgendwann griff ich nach einem Buch in meiner Tasche, was ebenfalls ein gutes Motiv abgab.
Mein Freund P. der ebenfalls Zeit hatte, saß zu einem Moment neben mir und wir bekamen durch eine Dummheit einen solchen Lachanfall, dass die Tränen liefen und wir kurzzeitig zu nichts zu gebrauchen waren.
Wenn der Artikel erscheint, Ende des Monats, werde ich berichten.
Wir fuhren durch ein Viertel der Stadt das ich kaum bis gar nicht kenne obwohl es dort entfernte Verwandtschaft gibt. Das Viertel Cents liegt in Richtung Flughafen und ist vom Fluglärm einmal abgesehen, eine ruhige Ecke, von der man sagt dass die Einheimischen wohlhabend, konservativer und hochnäsiger seinen, als der Rest der Stadt. (Ich gebe nur wieder, was so allgemein von dem Viertel behauptet wird, und nicht dass es stimmt, oder ich der Meinung beipflichte) Ich sollte diese Viertel im Sommer mal zu Fuß erkunden…
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Mittagessen gab es in der Innenstadt bei Namur. Die erste Etage war proppenvoll, doch ich bekam einen guten Sitzplatz. Ich hatte ein Steak mit Pfeffersoße, Pommes und Salat. Und da ich, wie so oft in letzter Zeit, vergaß ein Foto davon zu machen, bekommt ihr heute mal Bild von einem abgefressenen Teller.
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Während ich auf mein Essen wartete, setzte sich zwei Tische weiter ein ältere Dame, die mir zunickte. Ich nickte zurück, obwohl ich keine Ahnung hatte, wer sie war. Es passiert oft, dass ich durch meinen Job flüchtig Leute kennenlerne, die ich genau so schnell wieder vergesse, doch der Höflichkeit halber, tue ich dann so als ob, weil sonst meist eine peinliche Situation entsteht. Doch hier war es anders. Die Dame ließ nicht locker, was mich nun wiederum in die Situation versetzte, etwas zu sagen, oder gar an ihren Tisch zu gehen. Ich beschäftigte mich schleunigst mit dem iPhone, da ich wirklich nicht wusste, wer sie war, obwohl ihr Gesicht mir im entferntesten bekannt vorkam.
Als sie fertig gespeist hatte, kam sie etwas umständlich an meinen Tisch. “Sie kennen mich nicht mehr, gell? Ich bin Frau T. und habe jahrelang mit ihrer Tante zusammen gearbeitet, als sie noch bei der Caritas war. Sie sind doch ihr Neffe Joël, oder nicht?”
Ja der bin ich. Und nun fiel es mir auch wieder ein, weil ich selten ein Gesicht vergesse. Doch sie hatte sich sehr verändert. Die eine Gesichtshälfte hing schlaf herunter, wahrscheinlich durch einen Schlaganfall, was sie beim Sprechen behinderte.
“Ich kann mich gut an Sie erinnern, wenn sie an ihren freien Nachmittagen ihre Tante bei uns besuchten. Wie geht es ihr? Ich wollte sie immer einmal besuchen, doch habe ich mich nie so richtig getraut, wegen dem ganzen dummen Gerede, als sie zur Chefsekretärin aufstieg und ich ihren Platz in der Kleidersammlung übernahm. Ich mochte sie sehr, doch konnte ich ihr nie Lebewohl sagen, als sie in Rente ging. Ich weiß, dass sie inzwischen Witwe ist. Wohnt sie noch in der gleichen Wohnung? Ich würde sie wirklich gerne wiedersehen.”
Der ganze Redeschwall kam fast ohne Punkt und Komma und sie musste ihn sich gut überlegt haben, bevor sie an mich herantrat.
“Es tut mir leid. Tante Gritty ist Mitte letzten Jahres verstorben”, sagte ich.
“Oh nein! Ich bin zu spät!”, flüsterte sie kaum hörbar. Ihre Gesichtsfarbe wechselte von blass auf fast weiß. “Es…es tut mir so leid. Ich hätte mich so gerne bei ihr entschuldigt, weil ich das war, der….” Sie war den Tränen nahe. “Es tut mir leid…ich…” Sie erhob sich nahem ihren Mantel und verließ sofort das Lokal.
Ich kann mich vage erinnern, dass Gritty Frau T. in Verdacht hatte, dass sie den Chefposten in der Verkaufsstelle von Gebrauchtkleidern unbedingt haben wollte. Gritty hatte ihn lange sehr erfolgreich geführt, da sie nebst der Bekleidung für Bedürftige, auch eine Art Boutique für gebrauchte, exklusive Highend Marken einführte, die sehr gut funktionierte. Irgendwann wurde sie ohne große Vorwarnung von dem Posten abgezogen, und ins Hauptgebäude versetzt, wo sie zu Anfang als Chefsekretärin fungierte und später ins Archiv abgeschoben wurde. Gritty war nicht glücklich dort und wäre viel lieber im Laden geblieben…