Fressen, Kunst und Puderquaste

Mein Vater

Vater

Angeregt durch einen Beitrag der Kaltmamsell, in dem sie ihre Leser aufforderte, doch mal was über ihre Großeltern zu schreiben, (dass habe ich aber schon vor Jahren getan, hier über Marie, hier über Thérèse)  dachte ich an meinem Vater der 1988 mit nur 52 Jahren verstarb. Heute, mir der größtmöglichen Distanz die kaum noch eine Emotion zulässt, kann ich über ihn schreiben.

Eines gleich vorweg. Vater und ich haben uns nie verstanden. Ich habe ihn zeitweise abgrundtief gehasst. Erst heute verstehe ich warum das so war. Doch brauchte es fast 30 Jahre dazu. Er war ein eingesperrter Freigeist, der es in seinem Leben nur einige wenige Male geschafft hat sich zu befreien. Das und seine Entwurzelung aus seiner Heimat Straßburg führten dazu, dass er in seinen letzten Jahren mehrfach in tiefe Depressionen fiel und letztendlich an einem Gehirntumor verstarb.

Mein Vater hatte keine schöne Kindheit. Großmutter Marie hatte den sehr viel älteren Großvater Camille spät geheiratet und es war nicht die beste Ehe. Marie war nicht dafür gemacht Kinder großzuziehen, zudem hatte sie sich ein Mädchen gewünscht. Als es ein Junge wurde, war die Enttäuschung groß. Die ersten Jahre zog sie meinen Vater wie ein Mädchen an. Auf den frühesten Fotos als Baby trägt er Röckchen und hat lange Haare mit bunten Schleifen. Im Sommer wenn es draußen warm war, ließ sie ihn im Garten allein spielen und band ihn mit einem Fuß an einen längere Schnur die an einem Pflock mitten in der Wiese befestigt war. Marie erzählte es einmal meiner anderen Großmutter Thérèse, die darüber völlig außer sich war. Diese sagte später immer, Marie hätte meinen Vater wie eine Ziege im Garten gehalten.

Der Großvater Camille war ein Arbeiter bei der französischen Bahn der sich über all die Jahre hinweg hochgearbeitet hatte, und er arbeitete in der obersten Verwaltung. Er war streng, sehr streng, und Vater wurde oft und viel verdroschen.Eine Erziehungsmaßnahme die er später auch bei mir anwendete. Doch war er der einzige Halt in seinem Leben, denn Großmutter konnte nichts mit ihm anfangen. Mit 12 Jahren wurde er ins Internat abgeschoben was in gewisser Weise seine Rettung war. Dort kümmerte man sich wenigstens um ihn.

Doch dann brach der zweite Weltkrieg aus. Er musste zurück nach hause. Am Ende des Krieges verstarb Großvater Camille und Marie stand plötzlich alleine da. Er konnte nicht mehr zurück ins Internat da die nötigen Mittel dafür nicht mehr vorhanden waren. Also wurde er von Marie losgeschickt um sich Arbeit zu suchen. Er begann als einfacher Handlanger und machte später den LKW Führerschein um dann mit schwerem Gerät durch ganz Frankreich zu fahren. Damals wurde noch in Frankreich nach Erdöl gebohrt und er fuhr die Bohrtürme an Ort und Stelle.

Das war das erste Mal dass er sich aus allem befreien konnte. Er schwärmte oft von diesen Jahren als LKW Fahrer und heute tut es mir leid dass ich nicht mehr zugehört habe, wenn er davon erzählte. Ich erinnere mich nur bruchstückhaft daran. Ich weiß dass er einen Kollegen hatte, der später im Jägertal ein kleines Hotel übernahm in dem wir einmal Urlaub machten. Ich berichtete im August davon.

Wer die Geschichte meiner Großmutter Marie gelesen hat, weiß wie es dazu kam dass mein Vater in Luxemburg landete und meine Mutter kennenlernte. Mutter war Krankenpflegerin in einem Kranken-und Altersheim, in dem meine Urgroßmutter bzw. seine Großmutter untergebracht war. Vater besuchte sie dort ab und an.

Als meine Mutter ihn zu hause vorstellte, stand er da mit zerrissener Hose und Hemd, was Großmutter Thérèse ein gewaltiger Dorn im Auge war. Damals hatte sie bereits das Konfektionsgeschäft und sie kleidete meinen Vater von oben bis unten neu ein. Irgendwie erfuhr mein Vater da zum ersten Mal was es bedeutet eine Familie zu haben die sich kümmert und für dich da ist.

Meine Eltern fanden beide dann eine Stelle in der neu eröffneten Nylon Fabrik in der ‘alten Heimat’. Sie als Krankenschwester in der Sanitätstation, er als Wächter am Eingangstor. Es war 1965.

Da die U.S. Firma nach amerikanischem Modell aufgebaut war, die sich weitaus mehr um die Angestellten kümmerte als es in anderen luxemburgischen Großbetrieben der Fall war, gaben sie meinem Vater die Chance eine interne Ausbildung als Chemiker zu machen. Er nahm an und wurde Chemiker der die verschiedenen Nylonproben auf ihre Qualität untersuchte. Es war zudem an der Entwicklung neuer Stoffe beteiligt.

Noch im gleichen Jahr mieteten sie gemeinsam eine Wohnung in der ‘alten Heimat’ und 1966 kam ich zur Welt.

Die Nylon Fabrik hatte damals von der Gemeinde ein riesiges Areal gekauft. Ein Teilstück davon  wurde mit einem Bauperimeter für Privathäuser und Wohnungen belegt. Dieses Areal wurde in einzelne Parzellen aufgeteilt und an die Arbeiter der Fabrik zu sehr günstigen Preisen weiterverkauft. Meine Eltern kauften sich ein solche Parzelle, auf der sie ein Haus bauten. 1970 zogen wir ein.

Ich kann nicht viele Einzelheiten von der Zeit erzählen, außer dass es wahrscheinlich die glücklichsten Jahre meines Vaters waren. Er war gefordert, konnte sich beweisen und es war eine Aufbruch- und Aufbaustimmung, wie es sie nie wieder danach gab. Es waren die Jahre in denen meine Eltern ihre Liebe für Korsika entdeckten, weil die Hochzeitsreise sie dorthin geführt hatte. Ich sollte noch viele Sommer dort verbringen…

***

Machen wir uns nichts vor. In einer Fabrik zu arbeiten, heißt Schichtdienst schieben. Die Wochen in denen mein Vater Nachtschicht hatte, waren schlimm. Wir mussten uns alle ruhig verhalten, denn er durfte ja nicht geweckt werden. Er schlief meistens bis in den Nachmittag hinein. Danach war er grantig.  Ein Satzkombi die es zu der Zeit, sehr oft zu hören gab, war:
-“Papa?”
-“Lass mich in Ruhe!”

Jetzt im Nachhinein verstehe ich es. Doch er konnte insgesamt nicht gut mit Kindern, weder mit mir oder meinem Bruder, noch mit anderen Kindern. Er kannte es ja selbst nicht anders.

Kinder spielen Streiche, toben rum, sind manchmal laut, und ab und an geht auch etwas zu Bruch oder kaputt. Die ultimative Waffe unserer Mutter war mein Vater. “Warte nur bis er nach Hause kommt!” Und er schlug zu. Blaue und rote Striemen am Hintern vom Lederriemen waren nichts ungewöhnliches. Ohrfeigen, so fest, dass ich quer durchs Wohnzimmer taumelte auch nicht. Ganz schlimm waren die Tage an denen ich zur Strafe in mein Zimmer geschickt wurde, und Vater spät Abends nach der Schicht mich aus dem Bett zerrte und noch einmal verdrosch.
Es gab Wochen in denen ich mich schon als kleiner Knirps, fragte wann es denn endlich mal einen Tag geben würde an dem ich nicht weinen müsste.

Andererseits war Vater wie ein Kind. Sein Hobby war seine Modelleisenbahn. Keiner nicht einmal meine Mutter durfte sie anfassen. Er begründete dass immer damit, dass er als Kind nicht spielen durfte und eben jetzt seinen Spieltrieb auslebte. Insgesamt bastelte er gerne und werkelte am Haus herum. Es trieb meine Mutter jedoch bisweilen auf die Palme, den er fing tausend Sachen an, brachte aber nie etwas zum Abschluss.

Er gab dem Krieg und dem frühen Tod seines Vaters die Schuld, dass er nie einen anständigen Beruf erlernt hatte. Das wurde ihm 1979 zum Verhängnis. Die Nylonfabrik stellte die Produktion ein und die interne Ausbildung als Chemiker wurde in Luxemburg nicht anerkannt. Er fand eine Stelle bei einer Sicherheitsfirma als Wächter. Diese Firma wurde beauftragt die alten Gebäude der Nylonfabrik zu überwachen. Dort drehte er Tag und Nacht seine Runden über ein Gelände das einsam und verlassen war, jedoch ein Stück seine Geschichte, das aber zusehends verrottete.

Es war auch die Zeit in der zwischen ihm und mir gar nicht mehr funktionierte. Die Lösung dafür war simpel. Ich wurde in ein Internat verfrachtet. Es war eine Drohung die er immer wieder aussprach, bis sie Realität wurde. Doch Mutter hat auch noch ein Wörtchen mitzureden. Vater wollte unbedingt dass ich das Internat komme, in dem auch er gewesen war. Mutter besuchte mit mir das Institut St.Joseph, (das heute Collège Matzenheim heißt). Ich habe noch ganz vage Erinnerungen daran, dass es ein uralter Bau war, in dem die Pater das Regiment führten. Mutter wollte die Schlafsäle sehen, was man ihr aber nicht erlaubte. Das machte sie stutzig und somit war das Internat vom Tisch. Ich kam ins Don Bosco in Luxemburg.

Ab da wurde das Verhältnis zu meinem Vater besser, weil wir uns nur noch an den Wochenenden sahen. Die ewigen Streitereien und Auseinandersetzungen hörten auf. Ich war ja nur noch zu Besuch da. Aber wir hatten uns nichts zu erzählen. Es beschränkte sich auf’s Begrüßen und Auf Wiedersehen sagen. Ich machte auch nicht den geringsten Versuch es anders zu gestalten, denn es klappte einfach nicht. Wir lebten in zwei völlig verschiedenen Welten und keiner von uns beiden machte auch nur den Versuch die Welt des anderen zu verstehen.

Vater wurde krank. Die erste OP war die Entfernung der Gallenblase. Wir sind in den 80ern und es gab noch keine Mikrochirurgie. Dann kam die erste tiefe Depression mit der in die Neuropsychiatrie eingeliefert wurde. Wir sind noch immer in den 80ern und er wurde Eimerweise mit Psychopharmaka vollgepumpt, anstatt nach den Ursachen zu suchen. Es ging ein paar Jahre gut bis die zweite Depression, heftiger als die erste kam. Wir sind immer noch in den 80ern und der Neurologe setzte wieder voll auf Psychopharmaka. Es hatte ja schließlich beim ersten mal auch gut geklappt.

Warum kam keiner auf die Idee ihm eine psychologische Therapie anzubieten? Oder hatte er sie hatte abgelehnt?

Ich hatte derweil meine Lehre als Friseur begonnen, war nicht mehr im Internat und jeden Tag zuhause. Es kam wie es kommen musste. Vater und ich stritten uns, ein Wort gab das andere, bis wieder die ultimative Drohung ausgesprochen wurde. “Du musst dich nicht wundern, wenn eines Tages deine Koffer vor der Tür stehen.” Doch kam ich ihm dieses Mal zuvor. “Du musst dich nicht bemühen, nächsten Monat ziehe ich sowieso aus”, entgegnete ich eiskalt. “Umso besser!” war seine Antwort. Ich war 19.

In der Nacht hörte ich meine Mutter im Bett weinen.

Ich zog mit einer Freundin in eine WG und versuchte so gut es ging von alles von meinem Anfangsgehalt aus der Lehre zu finanzieren. Ich verdiente ganze 6600.- Francs pro Monat. (165€) das war damals schon sehr wenig und reichte hinten und vorne nicht. Doch von zuhaue wollte ich keinen Heller.

Ab da beschränkte sich unsere Kommunikation nur noch auf Hallo und Tschüss.

Vater wurde nach der zweiten Depression krankheitshalber in Rente geschickt. Doch sollte er diese nicht lange genießen können. Nach den zwei überstandenen Depressionen folgte dann der Gehirntumor.

Ich werde den ganzen Krankheitsverlauf nicht beschreiben. Ich war ja zu der Zeit nicht mehr zu hause und kenne das alles nur vom Hörensagen. Vater viel eines Tages im Februar ’88 einfach um und hatte etwas wie einen epileptischen Anfall. Als er wieder zu sich kam war sein Sprachzentrum gestört und man konnte nur noch raten war er sagen wollte. Bis Oktober 1988 schnitt man ihm drei mal die Schädeldecke auf und er wurde anschließend bestrahlt.

Anfang September 1988 hatte ich eine Reise nach Cannes in Frankreich geplant. Ich war gerade mit meiner Lehre fertig geworden und hatte mir insgeheim vorgenommen mir dort eine Arbeit zu suchen und nicht mehr zurück zu kommen. Ich wollte raus aus Luxemburg. Am Tag vor meiner Abreise fuhr ich zu meinem Elternhaus um Lebewohl zusagen.

Vater saß am Tisch wie ein kleines in sich zusammen gesunkenes Häufchen Elend. Als ich ihm Aufwiedesehen sagte, hatte er Tränen in den Augen. Er drückte mich ganz fest. “…Ppass…auf…dich!” sagte mit unterdrückter Stimme. “Werd ich machen.” sagt ich leise und strich ihm über dem Kopf. Es war eine Szene mich sehr verstörte.  Er musste da schon gewusst haben dass er mich nie wiedersehen würde, denn drei Wochen später verstarb er.

Was ich erst im Nachhinein erfahren habe war, dass meine Mutter zu dem Zeitpunkt schon lange wusste dass mit ihm zu Ende gehen würde, es aber niemandem erzählt hatte. Ich habe es ihr lange zum Vorwurf gemacht, denn sonst wäre ich wahrscheinlich geblieben.

Letztendlich ist er für mich immer ein großes Rätsel gewesen, das ich nie so ganz begriffen habe. Aber eines weiß ich mit Sicherheit. Er hat meine Mutter abgöttisch geliebt. Wenn er ihr Geschenke machte, zählte kein Preis und keine roten Zahlen auf dem Konto.

Den Tag des Begräbnisses könnt ihr bei Großmutter Marie nachlesen.

Wenn ich anfangs sagte dass es keine Emotionen mehr in mir weckt dann stimmt das nicht ganz. Ich habe volle drei Tage gebraucht um diesen Text zu schreiben.

Nachtrag: Ich hatte schon mal vor zwei Jahren angefangen etwas über ihn zu schreiben aber in in dieser Ausführlichkeit. Es war am Vatertag.

3 Kommentare

  1. Sabine

    Sehr berührend!

  2. Kaltmamsell

    Da kann niemand raus aus diesem Schmerz, so ist es einfach. Man kann ihn nur irgendwie einbauen ins Leben.
    (Und dann siehst du ihm auch noch derart ähnlich,)

    • Joël

      Ja, das mit der Ähnlichkeit ist mir beim einscannen und bearbeiten des Fotos auch wieder aufgefallen. Jetzt da ich fast sein Alter habe in dem er ging sehe ich ihm ähnlicher als je zuvor.
      Was ich aber seit heute Nachmittag festgestellt habe, jetzt wo die Story endlich raus ist, fühle ich mich um einiges besser. Bloggen ist Therapie.

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