Fressen, Kunst und Puderquaste

Kategorie: Joël (Seite 31 von 38)

Mal schnell eben

Ab und an passiert es, dass ich Jobs bekomme die von heute auf morgen bewältigen muss. Meistens gilt es für jemand einzuspringen. Das ist bisweilen sehr spannend wenn die ganzen Maskenarbeit nicht vorab sauber dokumentiert wurde.

So auch gestern. Ich sollte eine Oper übernehmen von einer Kollegin die inzwischen nach Berlin gezogen ist. Ohne der Kollegin etwas unterstellen zu wollen, hatte sie nichts, rein gar nichts dokumentiert, kein Ablauf, keine Umzüge.  Die einzigen Anhaltspunkte die ich hatte, waren ein Video und eine Reihe Fotos von der Aufführung. Wenn die Show nicht allzu aufwendig ist klappt das ganz gut sich den Ablauf hinter der Bühne neu zusammenzureimen. Jedoch kannte ich keinen der Sänger.

Und so fuhr ich gestern Nachmittag mit einem etwas flauen Gefühl im Magen zum Spielort. Die Spielstätte selbst ist alles andere als ideal für Opern und ich null Ahnung von nichts. Sie hatten keinen Inspizient, keine Ankleider oder Requisiteure.

Doch es kappte alles erstaunlich gut. Das ganze Ensemble war sehr nett. Und wie es scheint war meine Maske besser als die von der Kollegin davor…

Beim Griechen

Noch nie hatte ich so viele rückwärts gewandte Gedanken wie die letzten Tage. So wie jetzt eben beim Griechen. Ich hatte Lust auf Griechisch was selten vorkommt. Ich hatte Lust auf Hammel (Aber auf Hammelfleisch habe ich immer Lust. Von mir aus könnte das Schein restlos gestrichen und durch Hammel ersetzt werden.)

Das Restaurant war spärlich besetzt. Außer mir waren nur drei andere Tische besetzt. Zwei Männer etwas weiter weg sprachen eine Sprache die ich nicht zuordnen konnte. Etwas näher an meinem Tisch saß ein Paar das luxemburgisch sprach. “Nein”, sage sie, “Ich habe wirklich große Angst vor dem Meer. Ich geh da nicht rein.”  Und als ob es Klick gemacht hätte fühlte ich mich 26 Jahre zurück versetzt, als ich in Cannes in Urlaub bei einem Cousin meiner Mutter war. Es war Anfang Oktober und es war warm, das Wetter wunderschön. Ich wanderte durch die Stadt deren kleinste Gassen ich längst schon alle erkundet hatte. Ich ging ins Kino. Es lief Le Grand Bleu (Im Rausch der Tiefe) ein Film den ich in diesem Urlaub dreimal gesehen hatte. Ich kam aus Saal, ging hinunter zum Strand, setzte mich auf einen Steg (ich glaube es war er vom Carlton) und schaute aufs Meer hinaus. Ich wollte in Fluten springen, ich wollte Delfine sehen. Eintauchen in dieses tiefe dunkle Blau das mir so gar nicht kalt vorkam. Es war einer der größten Sehnsuchtsmomente den ich je verspürt habe. Und immer wenn ich den Film später noch einmal sah, war dieses Gefühl wieder so gegenwärtig wie damals.

Und der Mensch heißt Mensch

Ich lese täglich Blogs, dabei sollte ich selbst ein wenig mehr schreiben.

Es ist inzwischen Februar und ich bin in einer transitorischen Phase die selber nicht verstehe. Tage kommen und gehen. Die Zeit heilt Wunden und wird es richten. Der Alltag nimmt seinen Lauf. Die Arbeit hat mich fest im Griff.

Und doch ist da eine Leere, ein leerer Raum ohne Luft und Licht, ein Nichts. Ein Raum der nicht mehr besetzt ist…

Und der Mensch heißt Mensch
Weil er erinnert, weil er kämpft
Weil er hofft und liebt
Weil er mitfühlt und vergibt
Und weil er lacht, und weil er lebt, Du fehlst
Herbert Grönemeyer

Das Restaurant

…über das ich berichten werde, werde ich ganz bewusst nicht namentlich nennen.

Ich kann mich noch verschwommen an das erste mal erinnern als ich dort war. Es war in den Achtzigern und es war Mai. Die Oktave der Muttergottes Wallfahrt hatte begonnen. Tante G. arbeitete für eine Wohlfahrtsorganisation. Das Jahr über war sie zuständig für die Kleiderausgabe an Bedürftige. Während der Oktave gibt es den sogenannten “Märtchen”. Tante G. hatte dort einen Stand ins Leben gerufen, der vor allem Rosenkränze und Götzenbilder verkaufte. Der Stand ging gut, und brachte der Organisation einen ordentlichen Batzen Geld ein. Während der Mittagspause ging Tante G. jeden Tag in dieses Restaurant essen.
Ich begleitete sie manchmal dorthin. Das Gerichte waren alle durchweg sehr französisch, mal von ein paar Luxemburger Spezialitäten abgesehen. Es ging zu wie in einem Taubenschlag. Es war mit die beste Brasserie in der Stadt.

Im Sommer letzten Jahres saß ich ein paar mal dort, weil sie eine schöne große Terrasse haben. Jetzt im Winter ist sie weggeräumt und ich nahm drinnen Platz, seit ewigen Zeiten wieder, eigentlich seit damals. Die Deko hat sich nicht verändert. Es sind noch immer die alten Holzverbtäfelungen, doch etwas heller gestrichen als früher. Die Tischanordnung ist immer noch die Gleiche. Ich nahm dort Platz wo ich früher immer mit Tante G. gesessen hatte. Es waren wenige Tische besetzt. Die Bedienungen sind alle schon fast im Rentenalter. Sehr freundlich sehr zuvorkommend, fast schon so wie man es nicht mehr gewohnt ist. Hier ist nichts locker-leger-loungig. Die Karte hat quasi noch die gleichen Brasserie Gerichte wie damals. Ich aß den Fischteller mit fünf verschiedenen Sorten Fisch in einer kleinen feinen würzigen Sahne Soße mit Reis dazu. Es schmeckte sehr gut.

Ich fühlte mich zurück in eine andere Zeit versetzt. Ich dachte an damals. Ich weiß noch, dass ich mich an einem Tag mit Tante G. dort verabredet hatte für Mittags, nachdem ich morgens ein Examen abgelegt hatte. Ich hatte die ganze Nacht dafür vor den Büchern gesessen mit viel Kaffee und hatte nicht eine Minute geschlafen. Das Erste das ich bestellte war ein Cognac den ich auf einen Schlag hinunter kippte. Der Kellner sah mich verdutzt an, sagte aber nichts und Tante G. staunte, weil sie mich noch nie so angespannt gesehen hatte.

Die Kellnerin die mich bediente, sagte mir irgendwann im Vertrauen dass das Restaurant im Herbst dieses Jahres definitiv die Tore schließen würde. Die Betreiber hätten keine Lust mehr. Und damit schließt auch ein weiteres Kapitel meiner Erinnerungen die Tore und eine Ära geht zu Ende.

21 Tage vegan

Ich habe die letzten Tage mit großer Spannung das Blog esskultur.at verfolgt. Katharina Seiser Journalistin und Kochbuchautorin unterzog sich dem Selbstversuch 3 Wochen lang vegan zu ernähren.

Sie schrieb jeden Tag genau auf was sie zu welchen Mahlzeiten gegessen hat und ihre Erkenntnisse dazu. Selten habe ich in ein Blog gelesen bei dem ich so viele Wörter googlen musste, weil ich sie nicht kannte. Zimtweichseln z.B. oder Pomeranzen. Am meisten jedoch hat mich ihr Schreibstil begeistert. Ich habe noch nie jemand gelesen der mit so viel Freude und Inbrunst über Essen schreibt. Sie hat mit vieles bestätigt und in Worte gefasst was ich auch über veganes Essen denke.
Einer der schönsten Sätze schreibt sie an ihrem ersten Tag nach der Vegan Zeit:

[…und ich bin dir, mama, bis heute dankbar, dass du mich lassen hast, nicht gedrängt hast, […] diese erlebnisse, bis heute im hirn, im herzen und am gaumen eingebrannt, machen mich zu der, die ich (auch beruflich) geworden bin….]

Das können die wenigsten von sich behaupten, denn die meisten Traumata als Kind hat man in Bezug auf Essen. Jeder kann sich noch an ein Suppenkaspar Ereignis erinnern…

Gestern Abend

…ereignete sich dieser tragische Unfall.

Keine Stunde später war alles weggeräumt. Ich kam an der Kreuzung vorbei und wartete an der anderen Straßenseite. Dass die Ampel schief stand, war nicht so sehr der Auslöser für folgendes Foto, als die einsame weiße Rose die neben dem Pfosten stand. Zu dem Zeitpunkt wusste ich aber noch nicht dass der Fußgänger verstorben war.

2014

Ich erinnere mich an Silvester 2000. Ich wanderte gemeinsam mit einer Freundin, die heute nur jemand ist denn ich einmal kannte, durch meine alte Heimat und stand irgendwann vor der Basilika. Die große Glocke, die nur zu Weihnachten, Ostern und Silvester geläutet wird, gab ihren tiefen dunklen Klang von sich und übertönte alles anderen Glocken. Überall ballerte und knallte Feuerwerk. Wir standen auf dem Vorplatz der Kirche der fast menschenleer war und hatten eine Flasche Champagner, zwei Gläser und begossen das neue Jahr.
Es war schön.
Es war ein Neuanfang.
Ein Neuanfang nach einem bitteren Verlust.
Sieben Monate davor starb mein Bruder in einem tragischen Unfall.
Mit ihm verschwand eine letzter Funken Hoffnung auf eine andere Zukunft.

2014 habe ich Silvester mit meiner ‘besseren Hälfte’ M. unter Fremden verbracht.
Menschen die ich nicht kannte und auch nach dem feuchtfröhlichen Abend nicht besser kannte.
Ich fühlte mich einsam.
Kurz nach Mitternacht erinnerte ich mich an eine alte Freundin aus meiner Zeit in Berlin, die ich immer in der Silvesternacht anrief um ihr ein Frohes Neues zu wünschen. Es war so eine Art Ritual das ich über viele Jahre beibehielt. Irgendwann rief ich nicht mehr an…
Sie hob ab und quietsche vor Vergnügen. Es war ein solches Glücksgefühl ihr Stimme zu hören dass mir fast die Tränen kamen.

Irgendwann so gegen 4 Uhr morgens als schon so manche die etwas seltsame Party verlassen hatten, ertrug ich die Einsamkeit nicht mehr und schreib entgegen aller Gewohnheiten etwas auf Facebook:

My dearest friends.
Normally i don’t write on facebook.
But tonight I feel quite lonely amongst some strangers with my beloved one and far away from home.
Although I had a great evening with a lot of laughs and great moments…
2013 was professionally a very good year but privately and emotionaly it was a big mess.
My mother died beginning of November. She was the last close member of my family I had. Now they’re all gone.

I want to thank all my friends who stood by my side in the darkest hours of my life. I never thought i had so many of them, supporting me when everything was tumbling down.
Thank you all so much. Love you all.
2014 is gonna be a great year!!!!
Love & kisses

Das was bleibt

Seit anderthalb Jahren ist Tante Gritty nun im Pflegeheim. Sie hat Alzheimer. Ich habe ihre Vormundschaft übernommen. “Ach, wo kommst du denn jetzt her?”, fragt sie mich wenn ich sie besuche. Und dann erzählt sie mir Geschichten die entfernte Jahrzehnte nahtlos mit der Gegenwart verbinden, von Leuten die längst verstorben sind, die sie vorhin noch sah. Es gibt kein gestern, kein heute, kein morgen. Alles ist eins, alles ist jetzt.

Sie weiß nicht dass meine Mutter, ihre Schwester Anfang November gestorben ist. Sie fragt auch nicht nach ihr. Ich habe beschlossen, es ihr nicht zu sagen. Sie waren Geschwister, aber Freunde waren sie nicht.

Ihre Wohnung ist unbewohnt. Seitdem sie im Pflegeheim ist, hatte ich noch nicht dem Mut sie zu räumen. Gestern war ich seit Wochen wieder dort um nach dem rechten zu sehen. Ich ging durch die Räume angefüllt mit Erinnerungen. Ihre Erinnerungen. Zum Teil auch meine Erinnerungen.  Fotos von Familienfeiern, an denen es ihr gut ging. Ein Foto wo sie neben ihrem lange verstorbenen Mann steht und die Hochzeitstorte anschneidet.  Eine Vase die sie Südfrankreich gekauft hatte.  Tausend kleine Einzelteile die ihre Geschichte haben.

Es ist das was bleibt.

Zwei Realitäten

Als ich diesen Beitrag vor zweit Tagen im Kopf zu erarbeiten begann, war der erste Gedanke den Tag des Begräbnisses meiner Mutter zu beschreiben, so objektiv und emotionslos wie nur irgend möglich. Doch nachdem ich das Interview von Sybille Berg sah in der Serie Freitag am Donnerstag, verschwommen die Grenzen zwischen Objektivität und Subjektivität und ich ließ es bleiben.

Ich lebe in zwei Realitäten.
Die eine in der ich Trauer und Schmerz über den Verlust kaum noch ertrage, in der ich emotional immer leerer werde, die Müdigkeit mir vorkommt wie ein warmes Meer in dem ich zu gern ertrinken würde, doch schwimme oben ich wie ein Fettfleck.
Die andere in der ich, wie heute, einen Tag lang über die Stände der Walfer Büchertage schlendere und ungezählte Küsschen austeile bis mir die Lippen wehtun, da die gesamte Kunst- und Kulturgesellschaft vertreten mit der ich tagtäglich zu tun habe. Wenn ich dann urplötzlich an meine Mutter denke ist sie weit, weit weg, wie jemand den ich irgendwann mal kannte.
Dann klingelt das Handy, und es rufen Bekannte und Fremde an um mir ihre Beileidsbekundungen persönlich in einem Gespräch mitzuteilen und ich bin mit einem mal total überfordert…
Das passierte mir heute mehr als einmal.

Und jetzt sitze ich hier am PC, schreibe, lasse mich von Lounge Radio berieseln und bin leer… so leer.

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