Ich erfuhr aus den Nachrichten, dass das alte Gebäude Don Bosco abgerissen wird. Es war eines der ersten Flüchtlingshäuser in Luxemburg und war während der letzten 20 Jahre immer wieder in den Schlagzeilen, wegen der schrecklichen Umstände in denen dort die Leute untergebracht waren. Legotrip hatte mal ein Lied und ein Video das zum Großteil dort gedreht wurde. Da ich damals die Maske gemacht hatte, war es für mich ein sehr skurriles und befremdliches Wiedersehen.
Was die wenigsten noch wissen ist der eigentliche Ursprung des Gebäudes. Es war ein Jungen Internat in dem ich auch drei Jahre lang Anfang der achtziger Jahre untergebracht war.
Pater Lehnen leitete damals das Internat mit einer Hausmutter, einer Köchin und zwei Bediensteten. Das Haus schien schon damals zu groß für die wenigen Jungen die untergebracht waren. Zur Schule gingen wir in die angrenzenden öffentlichen Schulen (Lycée Michel Luzius, Lycée Technique du Centre und die Handwerksschule), zum lernen, essen und schlafen gingen wir ins Don Bosco. Es hat vier Etagen, von denen drei Stück für die Schüler waren, die erste Etage wurde vom Pater bewohnt.
Ja, es waren Einzelzimmer und keine großen Schlafräume. Sonst hätte meine Mutter mich damals nicht dorthin gehen lassen. Mein Vater wollte unbedingt dass ich in ein Internat komme, weil er diese Erfahrung auch gemacht hatte und für ihn war es, hinsichtlich seiner eigenen Familienverhältnisse, die schönste Zeit seiner Jugend. Anfangs war auch von meinem Vater angedacht mich in das gleiche Internat in Frankreich zu verfrachten in dem er schon gewesen war. Doch ließ meine Mutter das nicht zu, als sie einmal mit mir dorthin fuhr und das Internat besichtigte. Sie wollte die “Dortoirs”, die Schlafräume sehen, was man ihr aber verwehrte. Das machte sie stutzig. Also wurde nach einer Lösung in Luxemburg gesucht. Home Don Bosco war die Antwort.
Die Zimmer waren klein. Es gab einen Schrank, ein Waschbecken, ein Bett, ein Bücherregal, ein Schreibtisch und ein Stuhl. Duschen und Toiletten waren auf dem Flur.
Pater René Lehnen war ausgesprochen freundlich zu meinen Eltern als ich dort eingeführt wurde, was sich aber änderte als ich mein erstes Schuljahr dort begann. Er war ein Mann der vom Leben weitgehend enttäuscht worden war. Sein Lebenstraum zerbröckelte. Das Internat war damals schon auf den absteigenden Ast. Die Zimmer auf der dritten Etage waren nur zum Teil belegt, auf der vierten Etage wohnte niemand und die zweite der Stock, für die älteren Semester, waren auch nur wenige. Insgesamt waren wir etwa 20 Jungs, das Haus hätte etwa 100 aufnehmen können. Der Pater würde demnach nicht als Don Bosco Luxemburgs in die Geschichte eingehen. Im Nachhinein betrachtet war er nicht wirklich streng, nur genervt und fast beständig schlechter Laune. Wenn man ihn etwas fragte war, bekam man fast immer eine patzige Antwort. Die Hausmutter dagegen war recht nett und lustig. Mit den anderen Hausangestellten hatten wir so gut wie keinen Kontakt.
Morgens kurz vor 7 Uhr klingelte eine laute, durchdringende Glocke zum Wachwerden. Ich hasste sie. Ich stellte mir den Radiowecker, den man mir erlaubt hatte, eine halbe Stunde früher und machte mir mit Hilfe eines Tauchsieders eine ordentliche Tasse Kaffee. Der Kaffee am Frühstückstisch war untrinkbar. Anschließend ging es es zur Schule.
Das Essen im Internat war alles andere als lecker. Ich erschlich mir mit der Zeit aus dem sehr geregelten Tagesablauf kleine Extratouren. So ging ich regelmäßig, zu Anfang einmal dann zweimal die Woche zu meiner Patentante zum Mittagessen, die damals noch nicht verheiratet war. Sie wohnte in dem kleinen Studio in dem ich heute wohne. Zu der Zeit gewöhnte ich mir auch an, kein Frühstück mehr zu mir zu nehmen.
Die drei Schuljahre waren nicht meine schönsten Jugendjahre. Hänseleien und Erfolgsdruck gab es damals auch schon. Zudem war der wahllos zusammengewürfelte Haufen von Jungs im Internat alles andere als homogen und es kam häufig zu Streitereien. Ich versuchte immer Abstand dazu zu haben, was mir aber automatisch die Position des Außenseiters verschaffte. Das machte es mir nicht leichter. Ich habe aber nie mit den Wölfen zusammen geheult.
Und doch erinnere ich mich gerne an die Zeit zurück, da ich hier zum ersten mal mit Theater in Kontakt kam und ich die ersten kleinen Freiheiten und Geheimnisse hatte, weitab von jeder elterlichen Überwachung.
Heute Nachmittag machte ich mich auf den Weg zum Gebäude, Zehn Jahre später nachdem ich zum letzten Mal dort war wegen des Videos.
Es ist das Gebäude im Hintergrund, das mit den Jahren nur noch hässlicher geworden ist. Damals war es auch schon keine architektonische Meisterleitung. Das vordere schwarze Gebäude (übrigens auch hässlich wie die Nacht, aber halt neu) mit den unzähligen Kameras daran, das aussieht als ob es ein Hochsicherheitstrakt wäre, ist das neue Flüchtlingsgebäude. Nun ja… etwas einschüchternd. Es scheint noch immer bewohnt zu sein, denn ich sah Leute ein und aus gehen. Irgendwo sah ich auch ein Sicherheitsmann. Demnach nicht unbedingt einladend mal eben ein paar Fotos zu schießen. Ich schlenderte weiter.
Näher heran gehen wollte ich nicht. Es wohnen schließlich Menschen dort die auch ein recht auf ihre Privatsphäre haben. Das rot eingekreiste Fenster war von 1981 bis 1984 mein Zimmer.
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