© Pixabay

Hier wie versprochen der Text den ich für den Word in Progress Abend geschrieben hatte.

***

Ich hatte sie bereits im Text Onkel Nicolas erwähnt. Die Schwester die ihm den Haushalt machte und nie geheiratet hat, ist Großtante Gréidi. Da sie die Taufpatin von Tante Gritty war, bekam diese auch ihren Vornamen Marguerite. Doch um beide zu unterschieden, wurde die Nichte Gritty genannt.

Gréidi ist für mich heute immer noch ein kleines Rätsel, da sie, wenn ich zurückblicke, kein eigens Leben geführt hat, sondern immer das der Anderen. Geboren wurde sie 1902 und war die Erste von fünf Geschwistern. Sie ähnelte ihrer Mutter (also meiner Urgroßmutter) wie aus dem Gesicht geschnitten. Auf vielen der alten Fotos sehen die beiden zum Verwechseln ähnlich aus. Ich nehme an, dass sie sich auch im Charakter und Benehmen glichen, zumindest behauptete dies immer ihre jüngere Schwester (meine Großmutter).

Gréidi hat also nie geheiratet. Ich weiß nicht, ob sie je eine amouröse Beziehung mit irgendeinem Mann hatte. Ich denke mir schon, dass es Anwärter gab, doch muss sie alle immer energisch abgewiesen haben.  Meine Mutter erzählte mir einmal warum das so war, obwohl es auch nur eine Vermutung war. Denn den genauen Grund kannte nur Gréidi selbst.  Aber sie sprach nie darüber.

Es war zwischen den beiden Weltkriegen. Gréidi, die keine besondere Schulausbildung genossen hatte, und nur einen Abschluss der Haushaltsschule besaß, wurde als Verkäuferin im Haushaltswarengeschäft entlassen, da die Inhaber nicht mehr so viel Personal halten konnten. Die Urgroßmutter schickte sie zu ihrem Bruder und seiner Frau, hoch oben in den Norden, auf einen Bauernhof, da die händeringend nach einer Magd suchten. An den Bauernhof angeschlossen war ein kleine Dorfkneipe. Gréidi machte sich gut in der Kneipe. So mochte den Kontakt mit Kunden und so wurde ihr dieses Feld weitgehend überlassen. Es muss ihre schönste Zeit gewesen sein, denn sie mochte das kleine Café sehr. Gréidi wurde aber nur saisonal eingestellt und verbrachte die Winter in der Hauptstadt. Als sie den dritten Sommer im Café antrat, war die Frau ihres Onkels schwanger und Gréidi musste wesentlich mehr arbeiten als die Jahre davor, da die Frau  gegen Ende der Schwangerschaft liegen musste.

Es war spät am Abend als die Wehen einsetzten und das Kind zur Welt kam. Die Hebamme kam und Gréidi musste ihr zur Hand gehen.  Es war eine komplizierte Geburt, und die Frau blutete und schrie wie am Spieß. Sie wäre um Haar gestorben. Gréidi war anschließend wie ausgewechselt und kam am Ende dieses Sommer völlig verstört nach Luxemburg zurück. Sie erklärte,klipp und klar, dass sie nie im Leben heiraten würde.  Sie ging nie wieder zurück auf den Hof.

Ihr Bruder Nicolas, der die  Familien Schreinerei übernommen hatte, stellte sie ein, und sie führte ihm den Haushalt. Dies tat sie lange Jahre. Von außen gesehen funktionierten beide wie ein Ehepaar, obwohl sie keines waren. Als Nicolas in Rente ging stellte meine Großmutter sie als Verkäuferin in ihrem Geschäft ein, damit sich noch eine Weile die eigene Rente aufbessern konnte.Irgendwann, als weder Nicolas noch Gréidi alleine zurecht kamen, zogen beide zu meiner Großmutter die früh Witwe geworden war.Großmutter hat später oft erzählt, dass es nicht die schönste Zeit war. Die drei Geschwister stritten sich oft. Ich kann mich erinnern dass Gréidi vorbehaltlos Nicolas immer zur Seite stand, wenn es darum ging Partei zu ergreifen. So war die Konstellation immer zwei zu eins aber nie zu Gunsten meiner Großmutter.

Wenn ich eine Erinnerung an Greídi habe, dann ,dass sie für ihr Leben gern Kartoffeln schälte, Gemüse putzte und den Abwasch machte. Letzteres konnte sich über Stunden hinziehen.  Es war wie ein Ritual. Erst wurde alles vorgespült,  mit Spülmittel hauptgespült und anschließend noch mal mit klarem Wasser nachgespült. Wenn wir auch sonst nicht so viel besaßen; wir hatten zumindest immer sehr sauberes Geschirr.Wenn Gréidi meine Eltern am Sonntag besuchte, war es keine Frage wer den Abwasch übernahm. Ich kann mich noch sehr an ihren entsetzten Ausdruck erinnern, als wir unsere erste Geschirrspülmaschine bekamen. “Bleibt die jetzt?”, fragte Gréidi meine Mutter. “Natürlich bleibt die!”, antwortet sie.”Die geb ich nicht mehr her.” Aber Gréidi war nicht so glücklich darüber. Sie war eines Rituales beraubt.

Als Nicolas starb, verlor sie einen großen Teil ihres Lebensinhaltes. Sie begrenzte ihren Lebensraum ausschließlich auf die Küche. Man sah sie nie im Garten, oder sonst eine Tätigkeit außerhalb der Küche verrichten. Großmutter sagte oft, dass sie eine Küchenschabe sei. Aber Gréidi fand immer eine Beschäftigung. Sie konnte Stunden lang am großen Topf stehen und Marmelade einkochen oder sich mit einer Näharbeit am Küchentisch beschäftigen. Ich weiß noch, dass ich einmal ein Kostüm für eine Theaterschulaufführung brauchte, und sie eine ganze Nacht lang einzelne Pailletten an ein schwarzes T-Shirt nähte.

Eines Tages sackte Gréidi, während sie am Küchentisch saß, zusammen. Sie wurde noch per Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen. Ich besuchte sie zwei Tage später nachdem sie eingeliefert worden war. Sie lag sehr still da und sah ganz blass und zerbrechlich aus. Ich erschrak, als sie nach einem langen Atemaussetzter plötzlich mehrfach tief einatmete, um dann wieder ganz still zu werden.

Ich sagte ihr Lebewohl.

Noch in der gleichen Nacht starb sie.