Fressen, Kunst und Puderquaste

And Life goes on…

Im Sommer 2007 Schrieb ich folgenden Beitrag:

Lieber Patrick,

Ich bin mir ziemlich sicher dass du das hier nie lesen wirst.
Ich lernte dich kennen, als ich im 2. Schuljahr war. Du warst im ersten. Damals waren meistens noch 2 Jahrgänge in einer Klasse untergebracht. Deine Schwester, die ein Jahr älter ist als du, war auch in unserer Klasse.

Im Vergleich zu deiner Schwester, die ich als ziemlich brave Schülerin in Erinnerung habe, warst du ein regelmäßiger Kandidat für Strafarbeiten, in der Ecke stehen, Nachsitzen, bis hin zu Ohrfeigen und Prügel. (Heute sind sie nicht mehr denkbar, vor über dreißig Jahren waren es ‘normale’ Erziehungsmaßnahmen) Kein Streich und kein Unfug war dir zu derb oder zu billig, dass du ihn nicht ausgeführt hättest. Ich kann mich an die Geschichte der bepissten Wollmützen erinnern. Wir mussten alle immer unsere Jacken und Mützen draußen vor dem Klassenzimmer in die Hacken hängen. Es war im Winter. Jeden Tag wurden immer wieder Wollmützen vermisst und kurze Zeit später in den Pissoirs wiedergefunden. Es wurde fast eine Staatsaffäre daraus, weil der Missetäter lange Zeit nicht erwischt wurde. Mir fiel auf, dass du sehr oft selbst mit den Mützen ankamst und behauptest, du hättest sie gefunden. Bis dich eines Tages die Lehrerin erwischte… Was du als Strafe bekamst weiß ich nicht mehr, aber schmerzhaft muss sie wohl gewesen sein.

Nach der Primärschule habe ich dich für eine Weile aus den Augen verloren weil ich nach Luxemburg zur Schule ging. Als ich einige Jahre später zurück kam nach Echternach, warst du wieder da. Du warst sogar eine Weile in der Pantomime Truppe, und hast dich um die Beleuchtung gekümmert. Ich habe dich immer weitgehend gemieden, weil man sich mit dir nur Ärger einhandelte. Irgendwann setze der Leiter der Truppe dich vor Tür und jeder hat aufgeatmet.

Jahre später, wurdest du einer der besten Freunde meines verstorbenen Bruders. Ich habe nie verstanden warum das so war. Es gab eine Zeit, in der du die Wagen reihenweise zu Schrott gefahren hast, bis dass die Versicherung dich als Kunde rausschmiss.

Du hast dich immer am Rande der Legalität bewegt. Die Drogenszene war dir nicht fremd, dein Name der Polizei ein Begriff. Als mein Bruder dein bester Freund war hattest du eine feste Freundin. Ihr bekamt ein Kind. Es war ein Mädchen und mein Bruder war Taufpate. Ich weiß noch dass mein Bruder mächtig stolz war, dass du ihn gefragt hattest. Kurze Zeit später ging die Beziehung in die Brüche und die Feundin rutschte ab in die Drogenszene. Mein Bruder machte sich sich damals große Sorgen um sein Patenkind. Was aus ihr wurde weiß ich nicht…

Vor vier oder fünf Jahren begegneten wir uns kurz in Echternach. Mein Bruder war seit einigen Jahren tot. Es schien so als ob du dich gefangen hättest. Du warst ruhig und ausgeglichen. Du erzähltest mir von deinem Job als Hausmeister.

Gestern sah ich dich zum ersten mal wieder. Ich hatte einen Termin  im Bahnhofsviertel. Du hast neben zwei runtergekommen Typen gestanden und in einer Tüte gekramt. Du sahst alt aus, mit verkniffenem Mund und Tränensäcken unter den Augen. Ich will nicht wissen, was du in der Tüte gesucht hast. Du hast mich nicht bemerkt als ich vorbei ging. Ich habe dich nicht gegrüßt und versucht schnellstens an dir vorbeizukommen…

Als ich heute durch die Ausgabe vom Wort vom 30. Dezember blätterte fand ich seine Todesanzeige.

2 Kommentare

  1. Renée

    ein schöner Brief, beeindruckend Deine Vorausschau!
    Aber Joël, warum hast Du diesen Brief geschrieben? Aus Liebe zu Deinem Bruder oder hat Patrick Dir trotz allem etwas bedeutet?

    • Joël

      @Renée
      Nein bedeutet hat mir nichts. Es war eher die Faszination, wie ein Mensch sich immer wieder selbst in der Bredouille reitet, ohne daraus zu lernen.

      (Du kanntest ihn übrigens auch…)

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