Fressen, Kunst und Puderquaste

Kategorie: Moment mal

Leben wie andere Leute: Onkel Nicolas

© Pixabay

 

Angeregt durch die Familiengeschichte von Allen Bennett ‘Leben wie andere Leute’, werde ich versuchen die Lebensgeschichte meines Großonkels Nicolas aufzuschreiben. Eine ausführliche Besprechung von Bennetts Buch wird später folgen.

Die Idee dazu kam mir als ich letztens wieder still in einer Ecke in einem Café saß, das Buch in Händen. Und wenn ich sonst von Allen Bennett, kleine ironische Pointen gewohnt bin, so ist dieses Buch, zumindest am Anfang, sehr traurig. Es riss mich durch einzelne Sätze immer wieder aus der Lektüre , und ich dachte an meine eigene Familie und wie wenig ich doch über manche weiß.

Eine Geschichte die mir schon lange im Magen liegt, ist die Geschichte von Großonkel Nicolas, der sein Leben lang einer Liebe nachtrauerte, durch einen Umstand der mir heute sehr sauer aufstößt. Aber dazu komme ich noch.

Nicolas kam Anfang des 20.Jahrhundert zur Welt, war der Zweitgeborene von fünf Geschwistern (2 Mädchen, 3 Jungen) und der älteste Bruder meiner Großmutter. Da er der erstgeborene  Sohn war, sollte er auch den Familienbetrieb, eine kleine Schreinerei, übernehmen. Ob er sie wirklich wollte, da er lange Priester werden und in Kloster gehen wollte, weiß ich nicht so genau. Doch er fügte sich. Er fügte sich wie in vielen Dingen seines Lebens, und ich kannte ihn nur als verbitterten alten Junggesellen, bei dem etwas furchtbar schief gelaufen war, das ich aber erst viel später erfahren sollte.

Als ich zur Welt kam, lebten bereits zwei der fünf Geschwister nicht mehr. Onkel Josy, der jüngste Bruder, war an einem Sonntagnachmittag während eines Picknicks im Fluß ertrunken, weil ihm im Wasser schlecht geworden war. Man fischte ihn erst Tage später ein paar Kilometer weiter weiter aus einer Böschung.

Ich durfte späterhin nie nie nie nach dem Mittagessen ins Planschbecken das mein Vater im Sommer im Garten aufstellte, sondern musste mindestens drei bis vier Stunden warten. Für mich als kleiner Junge, der nur spielen wollte, war es eine Qual, bei der oft aus Enttäuschung, bittere Tränen flossen.

Der andere Bruder, Onkel Jängi, verstarb ebenfalls früher als erwartet. Dessen Tod sollte ebenfalls ein sehr einschneidendes Erlebnis für Nicolas werden, da er mitten im einem eiskalten Winter verstarb und das Grab nicht ausgehoben werden konnte, da der Boden steinhart gefroren war. Erst im Frühling wurde das Loch auf dem Friedhof gebuddelt und die sterblichen Überreste beigesetzt. Die Frau von Onkel Jängi bat damals Nicolas, bei der Öffnung des Sarges dabei zu sein, (damit man feststellen konnte, dass die richtige Leiche in das richtige Grab kam)  und einer von der Familie bei dieser Prozedur beiwohnen musste. Sie selbst hätte es nicht gekonnt. Onkel Nicolas hat oft davon erzählt, wie schrecklich der Gestank war und wie aufgeblasen der Körper von Jängi aussah. Der Totengräber reichte ihm anschließend wortlos den Flachmann den dieser in der Hosentasche hatte, da Nicolas’ Gesicht weiß wie ein Bettlaken war.

Zwischen den beiden Weltkriegen lernte Nicolas seine erste große Liebe kennen. Sie hieß Josiane und stammte aus einer Familie die sich um einiges besser stand, als Nicolas mit seiner kleinen Schreinerei. Doch barg die Familie von Josiane ein Geheimnis das Nicolas zum Verhängnis werden sollte. Josiane und Nicolas liebten sich und wollten heiraten. Von Josiane’s Familie her war man auch nicht gegen eine Heirat. Doch Josiane hatte einen Bruder der schwul war. Dieser lebte es auch mehr oder weniger offen aus.  Es war eigentlich kein Geheimnis, doch man erzählte es sich nur hinter vorgehaltener Hand. Als Nicolas’ Vater (mein Urgroßvater) dies erfuhr, was es aus. Nicolas musste sofort die Beziehung mit Josiane beenden. Der Vater hatte nichts gegen Josiane selbst, doch was wäre wenn sie Kinder bekämen. Josiane trug schließlich dieses Schwulen Gen in sich und womöglich würden ihre Kinder auch ‘so’ werden…

Und Nicolas fügte sich.

Er muss unglaublich enttäuscht und wütend gewesen sein. Doch rächte er sich auf seine Art auch am Vater. Er sorgte dafür dass der Familienname und die Schreinerei nicht weitergehen würden. Er sah nach Josiane nie wieder eine andere Frau an. Wenn er sie nicht haben könnte, dann gar keine. Nicolas wurde zu einem verbitterten alten Junggesellen. Selbst als er Josiane hätte haben können, als die Eltern verstorben waren, hatte Josiane nicht auf ihn gewartet, und hatte jemand anders geheiratet.

Alles was Nicolas an Zuneigung und Liebe geben konnte, ging an seine beiden Nichten, meine Mutter und Tante Gritty. Der letzte große Auftrag der Schreinerei war der Dachstuhl meines Elternhauses, für den Nicolas keinen Pfennig haben wollte. Er steuerte Gritty ein Drittel der Summe bei, als sie sich zusammen mit ihrem Mann eine Wohnung kaufte.

Kurz nach der Fertigstellung des Dachstuhls, ging er in Rente. Und ab da beginnen meine eigenen Erinnerungen an ihn. Ich kannte ihn nur als alten Mann der ab seiner Rente im Sessel saß, und keinen Finger mehr krumm machte. Er rostete regelrecht ein. Die älteste Schwester, die ebenfalls nicht geheiratet hatte, kümmerte sich um seinen Haushalt.

Wenn ich als kleiner Knirps mit 3/4 Jahren bei Großmutter zu Besuch war, spazierte er mit mir ab und zu in den Park Laval, wo es einen kleinen Spielplatz gab. Einer der seltenen guten Momente. Späterhin empfand ich ihn nur noch als missmutig, schlecht gelaunt, grantig und ohne Lebensfreude. Doch verstand ich nie warum das so war, und alle ihn immer in Schutz nahmen, wenn er mich anschnauzte und ich mich zur Wehr setzen wollte.

Als ich neunzehn war, starb er an einem Sonntag in einem Hospiz der Hauptstadt. Er hatte in späten Jahren noch eine Amputation von einem Fuß über sich ergehen lassen müssen, und war nach dieser schweren OP nicht mehr klar bei Verstand.  Ich fuhr zusammen mit meiner Mutter der Großtante und der Großmutter hin um ihn ein letztes Mal zu sehen.  Beide Schwestern brachen unter Tränen zusammen als sie ihn sahen und meine Mutter verfrachtete sie aus dem Zimmer. Ich sah zum ersten Mal in meinem Leben einen Toten. Im Nachtisch entdeckte meine Mutter seine Brieftasche und suchte nach seinem Ausweis, den sie für den Totenschein brauchte. In einem Seitenfach fand sie das Passfoto einer mir unbekannten Frau.  “Das ist Josiane”, sagte sie. “Mein Gott, er hatte all die Jahre immer ein Foto von ihr!”

Und so erfuhr ich ein paar Tage später in einem vertraulichen Gespräch von seinem Schicksal.

Wenn ich heute daran zurück denke ,macht es mich wütend und traurig zugleich. Die Tatsache, dass der Bruder von Josiane schwul war und die Engstirnigkeit und Ignoranz der eigenen Urgroßeltern, trifft mich so sehr wie selten etwas anderes.

Wenn sie alle wüssten…. ha!

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Moment mal…

Heute:
Max*

Max war ein kleiner eher schmal aussehender Mann den ich nie anders gesehen habe als im Jogginganzug oder wenn es denn etwas besser sein soll, in einer Jeans mit T-Shirt. Max wohnte mit seiner Familie in einem Haus das je nach Jahreszeiten mal mehr mal weniger dekoriert war. Als er am Anfang mit seiner Frau Anneliese* und seinen zwei Töchtern einzog war die Deko noch recht spärlich, aber jedes Jahr kam neues buntes Zeug dazu. In den letzten Jahren war das Haus immer mit einer ziemlich knalligen Beleuchtung an Weihnachten versehen.
Max war großer Formel 1 Fan und man konnte sich darauf verlassen, dass wenn ein Rennen an einem Sonntag gefahren wurde hing ab Samstags eine große Ferrari Fahne über der Eingangstür. Max war ein Michael Schumacher Fan, auch wenn er das nicht so ganz zugab und immer sagte Ferrari wäre seine Marke. Als Michael Schumacher aufhörte Rennen zu fahren war kurze Zeit später auch die Fahne nicht mehr da.

Seine Frau Anneliese kannte ich schon als ich neun, zehn Jahre alt war. Anneliese wohnte in meiner damaligen Nachbarschaft. Ihr und mein Vater waren Arbeitskollegen und waren bis zu seinem Tod gute Freunde. Als er starb hinterließ er eine Frau mit vier Kindern von denen 3 aus einer Ehe davor waren zu denen Annelise auch gehörte. Anneliese hatte somit ihre beiden Eltern mit 13 Jahren verloren. Die Stiefmutter bat meine Mutter doch bitte mich und meinen Bruder ab und an zum spielen zu schicken, da niemand der anderen Kinder zu ihnen kam. Warum das so war kann ich heute noch nicht genau erklären.
Ich sah sie dann lange nicht mehr.

Im Sommer saßen fast immer alle vor der Tür auf einer Bank die eigens dafür gekauft worden war. Max hatte eine Stimme die laut, kehlig und etwas quäkend war. Wenn er sich mit jemandem unterhielt wusste man sofort dass er es war. Max besaß nicht mehr allzu viele Zähne was ihm eine leichte Aussprache eines Zahnlosen verlieh.
Max wusste über alles und jeden Bescheid in der Nachbarschaft. Seit ein paar Jahren konnte Max nicht mehr arbeiten weil krank war. Es wurmte ihn oft, er wäre gerne noch Arbeiten gegangen. Seit etwas mehr als einem Jahr war Max nun in Rente. Max saß viel draußen auf der Bank und rauchte. Im Haus selbst musste es ihm Anneliese wohl verboten haben, oder er nahm den Anlass zum Rauchen dafür das er raus gehen konnte um sich auf seine Bank vor Tür zu setzen um zu sehen was draußen so geschah. Ich sah ihn oft wenn ich abends spät aus dem Theater kam oder morgens in aller Frühe wenn ich irgendwo zu einer unmöglichen Zeit am Drehort sein musste. Max, schien nie zu schlafen. Er grüßte mich immer. Manchmal wenn er mich Koffer schleppen sah, fragte er mich wo die Reise hingehen würde. Er war ein einfacher Mann ohne große Bildung, bescheiden und schien glücklich mit dem war er hatte.

Am Sonntag bekam ich einen Anruf, dass Max urplötzlich gestorben sei. Man wolle es mir nur sagen damit ich Bescheid wisse, da die Angehörigen keine Todesanzeige in der Zeitung schalten würden. Seitdem versuche ich mich daran zu erinnern wann ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe. Ich glaube es muss zwischen Weihnachten und Neujahr gesehen sein, als vorne auf der Hauptstraße in einem Haus ein Feuer ausbrach.

Gestern Abend warf ich eine Beileidskarte in den Briefschlitz an der Tür…

(* Die Vornamen habe ich geändert)

Moment mal…

Heute:
Else Buschheuer

Es gibt eine Rubrik in der Sendung “Zimmer frei” die ultimative Lobhuddelei heißt. Heute möchte ich mal einer Person danken die ich persönlich nicht kenne. Else Buschheuer. Und ob dies eine Lobhuddelei wird ist auch nicht so ganz klar.

Else ist eigentlich dafür verantwortlich dass ich ein Internettagebuch führe. Als ich damit anfing, war das Wort Blog noch gar nicht so geläufig und ich wehrte mich auch lange Zeit dagegen es als ein Blog anzusehen. Wer die Anfänge dieses “Blogs” überfliegt, wird merken dass es dort keine Kommentare gibt und die auch lange Zeit ausgeschaltet waren. Ein Tagebuch, so meine damalige Meinung, muss nicht kommentiert werden. Heute seh das andres, aber zu kommen wir noch.

Ganz bewusst aufmerksam auf Else wurde ich als sie in einer Talkshow war, zur der Zeit als sie bereits in New York lebte. Ich glaube es war in der NDR Talkshow, die damals noch Hermann und Tidje (oder umgekehrt) hieß. Sie sprach über ihr Tagebuch, über den 11 September 2001 und ich war fasziniert davon. Da Schreiben seit jeher etwas ist was mich begeistert und ich aber nicht so richtig wusste wie damit anfangen soll, dachte ich mir dass ein öffentliches Tagebuch vielleicht genau das richtige für mich wäre. Ein gläsernes Leben führen bei dem man die Durchsichtigkeit selbst bestimmt. (Ein Satz der lange in der Q&A meines Blogs stand. Ob er von mir stammt, oder ob ich ihn von Else oder jemand anders abgekupfert habe, weiß ich nicht mehr) Blogger.com war damals neu und einfach zu handhaben und genau das was ich suchte. Daneben wurde ich ein regelmäßiger Leser von Elses Tagebuchs. Ich kann mich noch erinnern, dass sie damals in der Sendung sagte, man könne ihr ruhig ein Mail schreiben, sie würde auch antworten. Das tat ich damals und sie antwortete auch. Wow, dachte ich, sie schreibt dir tatsächlich. So hochherrschaftlich und Promi belastet ist sie gar nicht. Sie wohnte damals in einem buddhistischen Tempel in New York. Sie war auf einer Selbstfindungssuche, die ich für mich nicht so richtig nachempfinden konnte, aber das was sie schrieb klang immer interessant, frisch und oft sehr lustig. Dann fing sie an umzuziehen, ich weiß nicht wie oft. An zwei Aufenthalte kann ich noch erinnern. Der eine war in eine Kunstgalerie wo sie in einem Verschlag wohnte, wie sie es nannte, und bald darauf sich mit ein paar lärmenden Mexikanern plagen musste. Sie schloss sogar “Freundschaft” mit einer Ratte…obwohl, ich glaube so begeistert war sie nicht von dem Haustier. Dann wohnte sie mal kurze Zeit in einer Wohnung in der ein Hund den ganzen Tag lang in einer Kiste eingesperrt war, und die Vermieterin selbst ein ziemlicher Besen war. Ich erinnere mich auch eine seltsame Freundschaft mit einer, ich glaube es war eine Chinesin, die einen Second Laden hatte, und an einen Spiegel der so beschaffen war dass man sich darin nicht spiegelverkehrt sah, sondern richtig rum so wie die anderen einen auch sehen…

Zu der Zeit war Else für mich immer wieder eine Inspiration, wenn ich in meinem Tagebuch nicht weiter wusste. Ich griff häufig Gedanken und Themen von ihr auf und entwickelte sie selbst weiter. Damals dachte ich, irgendwann musst du sie mal kennen lernen. Irgendwann ergibt sich einmal eine Gelegenheit…

Dann kam meine “Berliner Zeit” an die ich heute noch gerne zurück denke. Es war das Jahr in dem ich den ganzen Dezember dort war. Es ergab sich dass Else über die Feiertage auch in Berlin war. Ich schrieb ihr, dass wenn sie denn Zeit hätte, ich sie gerne einmal persönlich kennen lernen würde und mich bei ihr bedanken möchte für ihr tolles Tagebuch und all die Inspiration. Ich weiß nicht was ich mir damals dabei dachte, und ich war mir ziemlich sicher ein Absage zu bekommen, doch sie antwortete gar nicht. Ich war enttäuscht von ihr. Ein simples “Nein Danke, kein Interesse, oder keine Zeit” hätte mir genügt. Nichts dergleichen kam.
Einige Zeit später kam schrieb sie dann mal einem Tagebucheintrag der sich gewaschen hatte, dass sie absolut kein Interesse daran habe irgendjemand über ihr Tagebuch persönlich zu treffen und wir doch alle bescheuert seien, was uns überhaupt einfallen würde. Das traf mich sehr. Ich verbannte sie aus meiner Linkliste im Blog und meinen Bookmarks und schrieb einen ziemlich garstigen Eintrag über sie.
Heute verstehe warum sie damals so reagierte. Ich bin einer von Hunderten der ihr damals schrieb und wahrscheinlich einer von Hunderten der sie persönlich treffen wollte. Und wenn ich das mir für mich vorstelle, brrr, ich würde das auch nicht wollen.
Doch meine Vorstellung von ihr war gestört, zumal sie damals auch durch eine Schreibphase ging auf der ich so gar nicht verstand was sie denn suchte oder sich vom Leben erhoffte. Ich schreib nichts mehr über sie im Blog, doch schaute ich immer wieder in ihrem Tagebuch vorbei. Ganz lassen konnte ich es nicht.

Irgendwann erbat Else einmal die Hilfe ihrer Stammleser, weil sie sich aus einer Laune heraus die blondgebleichten Haare hatte dunkel färben lassen und diesen Schritt dann aber sehr bereute. Ich glaube sie war in Indien oder Thailand zu der Zeit. Ich schrieb ihr dann aus meiner Erfahrung aus “meinem früheren Leben als Friseur” heraus was sie tun könnte…

Dann kam Else nach Deutschland zurück. Es ergab sich dann kurze Zeit später mal eine Gelegenheit in der ich ihr über den Weg hätte laufen können. Ich habe damals an dem riesen Film Kreuzzug in Jeans
gearbeitet und wir drehten auch in Deutschland, in Dessau, Dresden und Königstein. Damals lernte ich eine Maskenbildnerin aus Leipzig kennen die ab und an für den MDR arbeitete und sich dort um die Kostüme für die Riverboat Sendung kümmerte, in der Else damals mitarbeitete. Ich besuchte die Maskenbildnerin späterhin einmal, doch hakte ich nicht weiter nach.

Inzwischen schaue ich in Elses Tagebuch nur noch sporadisch rein. Ihre Rubrik ” Die Gladiatorin des des Alltags” auf MDR Figaro höre ich jedoch regelmäßig, da ich das Podcast davon abonniert habe. Ab und an schreibe ich ihr sogar, wenn mir was geistreiches zu ihren Beiträgen einfällt, oder wenn sie grade Musik hört die ich auch mag.
Ich lasse inzwischen Kommentare im Blog zu, und es tut mir nicht leid darum. Es hat sich eine neue Dynamik damit entwickelt im Blog, die mir sehr gefällt.
Else schreibt unverändert weiter Tagebuch ohne Feeds und ähnlichem, was es schwer macht einen Beitrag von ihr zu verlinken. Zudem mag sie nicht wenn man sie Bloggerin nennt, sie ist eine Tagebuchschreiberin. Punkt.

Wenn ich jetzt so über das grad Geschriebene schaue, ist es keine richtige Lobhuddelei geworden. Ich glaube es wäre ihr auch nicht recht.
Trotzdem, danke Else für all die Jahre Inspiration und gegenseitiger Befruchtung, wie du es immer nennst.

Moment mal…

Heute:
Bekanntschaften

Ich umgebe mich auch mit Menschen, die ich zu über 80% im Netz kennengelernt habe.

Ein Satz aus der Liebeserklärung von Sascha Lobo an das Internet. Nun finde ich 80% äußerst hoch und ich kann das für mich nicht nachvollziehen. Aber das Internet an sich hat mich von Anfang an fasziniert und es war für mich damals als Internet nur mit 56K Modem zu bekommen war, wie die Erschließung einer neuen Welt. Fasziniert daran war vor allem dass man plötzlich mit Leuten chatten konnte aus aller Welt, oder von gleich nebenan, und man stellte fest dass man die gleichen Interessen hat.
Einer der vielen Gründe warum Leute das Internet nutzen ist Bekanntschaften schließen, die große Liebe finden, Gleichgesinnte finden, z.B. mit dem gleichen Hobby wir Tiere ausstopfen oder fröhliches gemeinsames Kinderschänden… (aber das lassen wir mal außen vor)

Meine Freundin J. die ich vor langen Jahren in Internet kennengelernt habe, über ICQ, hat damals neben mir auch ihren späteren Lebensgefährten kennengelernt. (da der Kontakt mit J. aber nur noch sporadisch ist, darum weiß ich nicht ob er es immer noch ist) J. schilderte mir einmal eine Begebenheit von ihrem Lebensgefährten und dessen Ex die urplötzlich bei ihm vor der Tür stand und ihn wiederhaben wollte. Da sie extra von weit her aus Frankreich angereist kam, war er so höfflich und ließ sie eine Nacht bei sich übernachten. Beide hatten zusammen in Frankreich studiert und sich dort kennen und lieben gelernt, doch mit der Beziehung war es schon lange aus und vorbei, als J. ihn kennenlernte.
Sie, die Ex, mokierte sich in höchsten Tönen darüber, dass er J. im “Internet” kennengelernt habe. Was das denn für eine Art wäre Leute kennenzulernen.

Und genau diese Tatsache ist heute in vieler Leuten Köpfe ein Umstand, dass Bekanntschaften aus dem Net verächtlich und herablassend angesehen werden.
“Was ist das denn für eine Art sich einen Partner zu suchen?”
“Kriegst du sonst keinen ab?”

Das Internet ist inzwischen um einiges gesellschaftsfähiger geworden und dennoch…

Es gibt ein Paar in Luxemburg die recht bekannt sind, da sie ein erfolgreiches Jazz und Theater Café und Restaurant leiten. Beide haben sich vor über zehn Jahren durch das Internet kennengelernt und haben inzwischen drei Kinder. Doch habe ich öfters gesehen dass, wenn man einen von den beiden fragte wie sie sich kennengelernt haben, der erwartungsvolle Glanz in den Augen des Fragers auf eine romantische Geschichte, auf die Antwort, ‘im Internet’, schlagartig erlosch.

Und jetzt will ich von euch wissen, kennt ihr das Gefühl, dass euch die Umwelt zu spüren gibt dass eine Freundschaft/Partnerschaft aus dem Internet nicht das gleiche ist wie… ja, wie was?

Moment mal…

Heute:
Die Familienfeier

Eine Freundin fragte mich vor kurzem ob ich nicht ihre Mutter für einen Abend zurechtmachen könnte. Es war ihr siebzigster Geburtstag und die Freundin hatte zu diesem Anlass eine große Familienfeier in einem Hotel organisiert. Im Hotel selbst hatte sie für den Abend einen großen Saal gebucht in dem das festliche Bankett stattfinden sollte, es war sogar ein DJ bestellt worden. Ihren Eltern hatte sie eine Suite im Hotel gebucht in der sie nach der Feier übernachten können.
Es sei an dieser Stelle gesagt dass ich solche Anlässe im Prinzip nicht bediene, außer ab und an für Freunde und Bekannte. Doch da ich hier gleich mit eingeladen war um anschließend mitzufeiern, sagte ich zu.

Nach getaner Arbeit ging ich hinunter in den Saal und schaute mich um. Es waren sechs große runde Tische aufgestellt worden und ich zählte ungefähr 70 Stühle. Nach und nach kamen die Gäste, mache von weit hergereist, aus Italien, der Schweiz und Deutschland. Ich stand ein wenig abseits vom ganzen Trubel, da ich niemanden kannte. Das gab mir aber die Gelegenheit das ganze Event etwas aus der Ferne zu betrachten. Es waren, wie bei allen großen Familientreffen, alle Altersklassen vertreten. Restlos alle waren pikfein zurecht gemacht und hatten den feinsten Zwirn an…

Und als ich so die Szenerie betrachtete kamen Bilder aus meiner Vergangenheit hoch von Familienfesten als ich noch klein war. Das letzte große Ereignis war die Hochzeit meiner Tante, an der aber auch nur der Teil meiner Familie mütterlicherseits zugegen war. Das letzte wirklich große Familienfest an dem alle da waren, sowohl die Familie meines Vaters als auch meiner Mutter, liegt weitaus länger zurück und an die habe ich nur sehr wenige Erinnerungen. Es war die erste Kommunion meines Bruders. Danach wurde kein Anlass mehr sonderlich gefeiert, was mich heute im Nachhinein betrachtet, sehr wundert. Gesehen habe habe ich die etwas entferntere Verwandschaft dann nur noch an Begräbnissen.
Die paar wenigen Familienmitglieder väterlicherseits, die heute noch da sind, wohnen alle in Frankreich und ich habe keinen Kontakt mit ihnen. Meine Mutter hält ihn noch so grade aufrecht, mit alljährlichen Weihnachtskarten, glaube ich zumindest. Ich selbst habe diese Verwandschaft zum letzten Mal am Grab meines Bruders gesehen…

Heute, ein paar Tage nach der Geburtstagsfeier, denke ich dass wir es in unserer Familie verpasst haben, die Gelegenheiten zum Anlass zu nehmen uns alle wiederzusehen und wenn es nur alle drei, vier oder fünf Jahre gewesen wäre.
Ein bisschen neidisch war ich schon auf die Freundin und ihre riesen Verwandschaft, doch vielleicht kann man jetzt nachvollziehen warum.

Verpasste Gelegenheiten…aber darüber schreibe ich ein anderes Mal.

Moment mal…

Heute:
George Michael

Als ich heute Abend wahllos Lieder von George Michael auf You Tube hörte, war mir noch nicht ganz klar, dass ich jetzt etwas über ihn schreiben würde. Ich habe alle seine Alben und das sind deren nicht allzu viele, aber ich hätte nie gesagt dass ich ein totaler Fan von ihm wäre. Und doch wurde mir von Video zu Video klar wie sehr mich seine Songs durch all die Jahre begleitet haben und dass ich so einige davon an Begebenheiten festgemacht habe und dadurch nicht vergesse.
Es fing an als ich zufällig auf ein paar Songs des legendären Freddie Mercury Tribute Konzertes stieß, das ich damals fast ganz im Fernsehn mitverfolgt hatte. Kaum ein Sänger des Konzertes konnten damals Freddie stimmlich das Wasser reichen. Einer konnte. George Micheal. Dass er ausgerechnet das Lied Somebody To Love sang, das einer schwersten Songs des Queen Repertoires ist, ließ das Gerücht aufkommen, dass er eventuell der Nachfolger von Freddie werden könnte…

Das erste Mal das ich eines der Lieder von George bewusst wahrnahm und an einer Begebenheit festmachte, war als ich 18 war. Es war im Sommer im August. Ich hatte meinen ersten Job als Barman in einem Hotel in Echternach und es war der Abend der Open-Air Disco am See. (Heute heißt es ja E-Lake) Es lief damals in einem sehr, sehr, sehr, viel kleineren Rahmen ab als heute. Es wurden ein paar Pfähle in dem Boden gerammt an denen ein paar kleine Spots in rot, grün und blau flimmerten und irgendjemand vom Echternacher Jugendclub legte eine Scheibe nach der nächsten auf. Damals gab es ein Part der sich Slowtime nannte und alle Paare eng umschlungen oft knutschend sich auf der Tanzfläche hin un her wiegten. Es war schon spät und ich hätte längst zu hause sein sollen. So gegen drei Uhr in der Nacht startete ich einen letzten Versuch jemanden zu finden der mich nach hause fährt. Es gab auch jemanden der es hätte tun können es aber nicht tat und so musste ich den ganzen Weg bis nach hause was gute 3-4 Kilometer waren mitten in der Nacht zurücklegen. In den 2 Stunden die ich dafür brauchte, (denn der Weg ging steil bergauf) hatte ich viel Zeit um Bilanz zu ziehen über den Abend an dem ich mich eigentlich gar nicht amüsiert hatte. Ich kannte die meisten von den Jugendlichen die dort waren, aber ich war der Aussenseiter. Ich ging schon seit Jahren nicht mehr in Echternach zur Schule sondern in der Hauptstadt. Ich war nie Mitglied von Echternacher Jugendclub, der sich für sehr elitär hielt. Insgesamt erntete ich an dem Abend nur abschätzende Blicke und beleidigende Kommentare.
Und während des ganzen Nachhause Weges hatte ich Careless Whisper im Kopf was irgendwann an dem Abend lief und noch mal wiederholt wurde als ich wegging. Damals schwor ich mir dass ich mit all den eingebildeten Spießern nichts mehr zu tun haben will…

Ein anderes Lied von George das bei mir sehr schmerzvolle Erinnerungen wachruft ist A Different Corner. Es war drei oder vier Jahre später. Es war Sommer und ich war bereits in der Friseur Lehre. Eine frühere Schulfreundin von mir hatte in diesem Jahr ihren Führerschein gemacht. Sie jobbte in den Ferien in einem kleinen Hotel in einem Nachbarort und war an diesem Wochenende in der einzigen Disco in Echternach die L’Affaire hieß. Sie, Ihr Freund und noch ein anderes Paar waren anschließend bei mir (ich war zur der Zeit schon aus dem elterlichen Hause ausgezogen) auf einen letzten Drink. Die Schulfreundin kannte ich schon seit langem, die anderen drei hatte ich erst kurz davor kennengelernt. Irgendwann spät in der Nacht fuhren alle vier nach hause. Am Montag morgen war eine große Schlagzeile in der Zeitung dass es auf der Strecke Echternach/Luxemburg einen sehr tragischen Unfall gegeben hatte. Es war die Schulfreundin mit ihrer Clique die am Sonntag Nachmittag nach Luxemburg fahren wollten. Die Schulfreundin, die am Steuer saß, überlebte, die anderen drei waren auf der Stelle tot.
An dem Abend als wir in der Disco waren lief das Lied von George A Different Corner. Ich fühle mich heute noch sehr traurig wenn ich das Lied höre und sehe verschwommen drei Gesichter…

In den 90ern brachte George Micheal eine Mini LP auf den Markt mit den Liedern Somebody To Love und dem Mix Killer/Papa Was A Rolling Stone. Die CD lief Jahre lang im Café Philo’soff rauf und runter und erinnert mich an viele lange Abende die ich dort verbrachte.

Und dann ist da noch der ultimative Klassiker (ich höre jetzt sehr viele von euch laut schreien) Last Christams. Inzwischen kann ich ihn nicht mehr hören, weil er immer weider, alle Jahre, hervorgekramt wird. Aber es gab eine Zeit in der es für mich das Weihnachtslied schlechthin war. Ohne ihn fand Weihnachten für mich gar nicht statt.

Eben habe ich ein Video gefunden von ihm was recht neu ist. Er hatte vor kurzem einen Gastauftritt in der Show American Idol. Geroge ist alt geworden und das leider nicht zu seinem Vorteil.
Aber ich mag ihn.

Eines seiner Videos das ich heute wiederfand und das mich wieder überraschte weil es so genial gemacht ist, ist As, das er zusammen mit Mary J Blige singt.

Moment mal…

Schueberfouer

Letztes Jahr zur gleichen Zeit, fragte ich meine Mutter ob sie eigentlich noch alle Fotos von der Schobermesse hätte, die mein Vater in all den Jahren auf dem Fotoschießstand gemacht hätte. Sie hatte. Alle Fotos in einer kleinen Paltsikmappe sogar mit den Jahreszahlen versehen.
Die Fotos zeigen eine immer etwas gelangweilte Familie um meinen Vater stehen und warten bis er endlich ins Schwarze traf. Meine Mutter war da ganz besonders gut drin. Ich habe die Fotos nicht sehr viel bearbeitet im Gegenteil. Ein paar die jedoch zu heftige Flecken hatten habe ich retuschiert oder ganz in den schwarz-weiß Modus gezogen. Ein paar Jahre fehlen dazwischen. Entweder haben wir da kein Foto gemacht oder es war kein Fotostand da.
Ich lasse die Fotos für sich selbst sprechen.


1965 Meine Eltern frisch verheiratet.

 


1966

 


1967

 


1968 Ich war 2 Jahre alt.

 


1969

 


1970 Im Hintergrund steht Großmutter Marie

 


1972 Auf dem Arm meiner Mutter, mein Bruder Gilles als er zwei war.

 


1974

 


1977

 


1978

 


1979

 


1980

 


1981

 


1987
Im Jahr darauf starb mein Vater. Aber bereits auf diesem Foto verglichen mit dem sechs Jahre davor, merkt man wie krank und aufgedunsen er war.

Moment mal…

Heute:
Die Spaziergängerin von Altrier

Die folgende Geschichte ist mir nur bruchstückhaft in Erinnerung. Es sind kleine Fetzen, Augenblicke, dass ich mich schon gefragt habe, ob ich es nicht eventuell geträumt habe. Tatsache ist aber, dass der Auslöser über sie Sie zu schreiben, ein Traum war den ich vor ein paar Tagen hatte.

Die Spaziergängerin von Altrier fiel mir in der Zeit auf als ich noch keinen Führerschein hatte und die Strecke Luxemburg/Echternach mit dem Bus zurücklegen musste. Ich weiß sogar noch dass ich sie immer Samstag Nachmittag sah. Es muss also zur der Zeit gewesen sein, als ich noch im Internat war und nur am Wochenende nach hause fuhr. Damals stieg ich immer in Dommeldange in den Bus. Es war Sommer und das Schuljahr ging auf sein Ende zu. Sie saß dann schon im hinteren Teil des Busses, meistens an einem Fensterplatz. Da der Bus meistens zu der Zeit immer gut gefüllt war, weil es einer der seltenen Busse war der (fast) ohne Umwege nach Echternach fuhr, saß meistens noch ein Fahrgast neben ihr. Neben ihr gesessen habe ich nie.
Was mich auf sie aufmerksam werden ließ, kann ich heute nicht mehr genau nachvollziehen. War es ihre Ausstrahlung, ihr Aussehen, ihre Art und Weise wie sie spazierte? Ich weiß es nicht mehr. Wahrscheinlich ein wenig von allem.
Sie war adrett gekleidet, fast elegant, doch schien ihre ganze Kleidung wie aus einer anderen Epoche. Heute weiß ich dass alles an ihr aussah wie aus den vierziger oder fünfziger Jahren. Sie trug meistens einen Zweiteiler im Coco Chanel Stiel mit Hut. Grade der Hut machte sie zur der Jahreszeit zu etwas außergewöhnlichem. Dazu hatte sie einen Regenschirm, der eigentlich kein richtiger Regenschirm war. Der Knauf war ein Entenkopf und die Bespannung war mit Rüschen versehen. Er glich eher einem Sonnenschirm, die man zur Zeit Ludwig XIV. bei Hofe hatte, um in Versailles im Park während des Spaziergangs den blassen Teint vor der Sonne zu schützen. Ich erinnere mich an ihren Gesichtsausdruck der etwas fröhliches, erwartungsvolles hatte, so als ob sie sich auf etwas freue.
Altrier besteht im Grunde nur aus einer langen Straße die in der Mitte eine Abzweigung nach Hemstel besitzt. Es gab zu der Zeit drei Haltestellen im Dorf. Eine gleich am Anfang des Dorfes, eine in der Mitte nahe der Kirche und eine am Ende kurz bevor die Straße wieder auf die Hauptstraße einbiegt. Sie stieg immer an letzterer aus. Im Nachhinein fiel mir auf, dass sie nicht dort wohnte oder jemand besuchte, denn sie lief in entgegengesetzte Richtung zum Ausgang des Dorfes wo sich kein Haus mehr befand. Ihr forscher Gang mit ihrem Spazierschirm ließ eher auf einen Waldspaziergang schließen. Doch passte ihr ganzes Outfit nicht dazu und vor allem die Schuhe, denn es waren schicke schwarze Pumps mit Absätzen. Ich habe nie gesehen wo sie eigentlich genau hinwollte weil der Bus weiterfuhr und ich sie aus dem Blick verlor.
Ich sah sie noch einige wenige Male, immer im gleichen Bus, immer samstags. Das gleiche Outfit, der gleiche Schirm, der gleiche freudige Ausdruck. Dann fand das Schuljahr sein Ende und in den Sommerferien blieb ich meistens in Echternach. Zum Schulbeginn im September, als ich wieder regelmäßig den besagten Bus nahm, war sie nicht mehr da. Ich sah die Spaziergängerin von Altrier, die wie aus einem frühen Jahrzehnt entsprungen schien, nie weider.
Doch erinnere ich mich bis heute an sie.

Moment mal…

Heute:
Danielle

Ich weiß nicht warum, denn ich habe sie schon seit 20 Jahren nicht mehr gesehen aber heute dachte ich an Danielle. Danielle war an meiner Schule aber nie in meiner Klasse. Ich glaube sie war sogar ein oder zwei Klassen höher als ich. Ich war damals grade 13 und sie muss schon 14 oder 15 gewesen sein. Sie war überdurchschnittlich groß für ihr Alter und sah eigentlich recht ansehnlich aus. Sie hatte ein schönes Gesicht ein sehr schönes Lächeln und gehörig Holz vor der Tür, was den Jungs natürlich nicht entging. Doch zog sie sich immer etwas seltsam an, denn alle anderen Mädchen waren nicht so angezogen wie sie. Aber vielleicht mag es auch nur eine Täuschung gewesen sein ob ihrer Größe. Sie zwängte sich in knallenge Jeans trug dazu Cowboystiefel und weite Pullis und Jacken. Wegen ihrem gewaltigen Busen standen die Teile aber immer nach unten weit ab, so dass es insgesamt ein Bild ergab von einer Kugel auf Stelzen. Ihre Haare sahen immer aus wie eine Explosion mit anschließendem Schockfrosten.
Doch Danielle war nett, zumindest zu mir, was ich zur Zeit nicht von allen behaupten kann. Ich war alles andere als schön und groß, im Gegenteil ich war immer etwas kleiner und hatte ein Kratergesicht wegen der Pickel. Doch sie akzeptierte mich so wie ich war ohne Vorbehalte, was äußerst selten war. Wir fuhren oft gemeinsam mit dem Bus und Danielle redete und redete. Dabei hatte sie nur ein Thema was aber unerschöpflich schien. Jungs.
Sie erzählte mir dass mit diesem oder jenem zusammen sei, nannte dabei Namen so als ob ich alle kennen müsste, dabei kannte ich keinen einzigen davon. “Ich bin seit einer Woche mit Sowieso zusammen. Er hat ein Wagen und wir waren am Samstag in der und der Disco.”
Danielle hatte natürlich nie Probleme irgendwo reinzukommen, da jeder sie für viel älter hielt als sie war.
“Dort habe ich dann mit ihm Schluss gemacht weil er nicht mit mir tanzen wollte. Dann habe ich einen anderen kennengelernt der auch einen Wagen hat und ihn gefragt ob er jetzt mit mir gehen wolle. Er sagte ja und hat mich dann später nach Hause gebracht. Am Ende als wir gehen wollten habe ich dem Typen davor noch eine geknallt weil er dann doch tanzte aber mit einer anderen. Und der Nutte mit der er zusammen war habe ich ein blaues Auge verpasst.”
Danielle war sich nie zu schade andere Mädchen zu vermöbeln. Als ich sie dann ein paar Tage später wiedersah und sie nach dem neuen Typen fragte sagte sie nur: “Ach der. Ich habe jetzt jemand anders mit dem ich schon mal vor einem Jahr zusammen war.” So war das immer bei Danielle. Manchmal wechselten die Jungs bei ihr im Stundentakt. Sie fing etwas mit einem Typen von den oberen Klassen im Schulhof an, knutschte in der Pause mit ihm rum und in der Mittagspause hatte sie wieder jemand anders mit dem sie dann händchenhaltend in Bus stieg. Sie suchte sich vornehmlich immer Typen aus die ein Stück älter waren als sie, möglichst schon achtzehn waren, mit fahrbarem Untersatz. Sie ver- und entliebte sich so rasend schnell, wie ich es bei keinem anderen Mitschüler sah. Doch für sie war das völlig normal. Man MUSSTE schließlich mit jemandem zusammen sein. Ob sie mit allen auch ins Bett stieg, weiß ich nicht, denn davon redete sie nie. Aber ich glaube sie tat es.
Ein paar Jahre später als ich im ersten Friseurlehrjahr war, traf ich sie wieder. Äußerlich hatte sie sich nicht verändert doch trug jetzt immer einen Hut und jeden Tag einen anderen. Sie war im letzten Lehrjahr als Verkäuferin in einem Hutgeschäft.
Ihr Lieblingsthema war nach wie vor mit Männern zusammen zu sein. Eines Tages sah ich sie mit einem riesen Veilchen im Gesicht und sie erklärte mir dass der Typ mit dem sie zusammen sei VERGESSEN hatte mit seiner Ex Schluss zu machen. Sie hätte die beiden dann im Bett erwischt. Danielle war bei dem ganzen Handgemenge gegen die Tür geflogen und die Klinke hatte sie voll im Gesicht erwischt. Doch sie habe die andere Schlampe krankenhausreif geschlagen. Die Eltern des Typen hätten einen Krankenwagen und die Polizei verständigt und sie hätte eine Nacht auf der Polizeiwache zugebracht.
Als ich sie dann wieder sah war das Veilchen bereits verschwunden und sie war mit jemand anders zusammen, der nicht vergessen hatte die Ex davor vor die Tür zu setzen.
Irgendwann fragte ich Danielle ob sie kein anderes Gesprächsthema hätte als immer nur ihre Männergeschichten. Sie schaute mich verwundert an sagte dann plötzlich: “Wenn es dich nicht interessiert, wir müssen nicht miteinander reden.” Sie drehte sich um und ging.
Jahre später lernte ich einen Mann kennen der Danielle zu der Zeit auch kannte. Er lachte: ” Danielle war etwas wie ein Wanderpokal, ich und alle Kumpels hatten sie mindestens einmal.”

Ich habe Danielle nie wiedergesehen.

Moment mal…

Heute:
Geschwister

Dies wird wahrscheinlich der persönlichste “Moment mal…” Beitrag die ich je schreiben werde. Eben dachte ich noch darüber nach, ob ich damit nicht zu weit gehe… Mag sein, aber das was nun folgen wird, ist der Grund warum ich heute das bin, was ich bin, und wo ich stehe. Und wenn es jemandem helfen mag seinen eigenen Weg zu finden…bitte schön…nichts würde mich glücklicher machen.

Auslöser dieses Postings sind zwei Begebenheiten. Ich habe mir gestern das neue Album von Coldplay “Viva la Vida” gekauft. Als ich es mir gestern Nachmittag anhörte lief mir ein wohliger Schauer nach dem andern über den Rücken. Endlich Musik zum anhören zum mitfühlen und mitsingen. Vor allem das Lied Viva la Vida selbst habe ich bestimmt zwanzig mal rauf und runter gehört und kann es bald mitsingen.
Der andere Auslöser war ein Gespräch mit jemandem den ich bis dato nur flüchtig kannte. Er war dieses Jahr an Sylvester mit dabei und eigentlich kennen wir uns schon recht lange, aber nur oberflächlich. Ich musste mir, bis gestern, immer wieder heimlich hinter seinem Rücken seinen Vornamen bei anderen nachfragen, weil ich ihn immer wieder vergaß… Das Gespräch ging (wahrscheinlich auch wegen den Drinks die dabei flossen) in eine Richtung, die persönlicher nicht sein könnte. Als ich heute Morgen aufwachte und darüber nachdachte, war mir klar dass ich darüber schreiben muss.

Wer mein Blog schon lange verfolgt, weiß vielleicht dass ich kein Einzelkind bin sondern einen Bruder hatte. Gilles.
Er kam vier Jahre nach mir auf die Welt. Gilles und ich waren so grundverschieden wie Tag und Nacht. Während ich verhältnismäßig ruhig war, war Gilles ein Rabauke. Meiner Mutter sagte immer er ist unser kleiner Stuntman. Ich erinnere mich dass er eine Actionfigur von Evel Knievel zu Nikolaus geschenkt bekam, die man auf ein Motorrad setzen konnte und über eine Rampe jagen konnte damit sie über Matchboxautos flog. Wenn wir Indianer und Cowboy spielten, war Gilles immer der Cowboy der mit den Plastikcolts rumhantierte. Es war eine Zeit in der man die Kinder noch achtlos auf die Straße schicken konnte. Da wir etwas außerhalb der Stadt wohnten, fuhren wir jeden Tag mit dem Bus zur Schule. Im ersten Kindergartenjahr, war er eines Mittags nach der Schule nicht im Bus. Er machte sich auf die Wanderschaft in Echternach. Meine Eltern wurden fast wahnsinnig vor Sorge. Mein Vater saß schon im Wagen um ganz Echternach abzufahren, als die Polizei plötzlich vor unserer Haustür hielt und ein quietschvergnügter Gilles ausstieg. Der Polizist erklärte uns dass er beim Gebäude in dem sich damals das Polizeibüro befand, auf die Klingel gedrückt hatte und als die ihm aufmachten, er den verdutzten Polizisten fragte ob er ihn nach hause fahren könnte. Gilles wusste weder wo er geklingelt hatte noch bei wem. Er war grade mal vier Jahre alt…
Meine Mutter sollte recht behalten was den Stuntman betraf, er hatte als kleiner Steppke schon mehrfach Gipsverbände. Es war mindestens ein gebrochener Arm und ein gebrochener Fuß dabei.

In den Jugendjahren waren sahen wir uns weniger da ich 3 Jahre lang im Internat war und ih nur an den Wochenenden sah oder in den Ferien. Die meisten werden glauben, dass das Inernat für mich wie eine Strafe gewesen sein muss. Keineswegs. Es war für mich damals wie ein Befreiung, da ich endlich von zuhause weg war und nicht permanent unter elterlicher Aufsicht. In der Zeit veränderte sich Gilles sehr und als ich später wieder in Echternach zur Schule ging, waren wir uns sehr fremd geworden. Das änderte sich aber als ich meine ersten Gehversuche auf der Bühne machte und der Pantomimetruppe der Schule beitrat. Gilles folgte im Jahr darauf und war zuständig für die Beleuchtung. Als ich dann später mit der Friseurlehre anfing zog ich wenige Monate später von zuhause aus und wir sahen uns kaum noch.
Von da an veränderte Gilles völlig. Er glich immer mehr einem Rocker, hörte Musik von AC/DC und Skorpions und entwickelte sich zum absoluten Motorradfreak. Ich hingegen wurde ein Partytiger der fast jede Nacht unterwegs war von einem Club zum nächsten. Ich sah aus wie frisch von einem pariser Modesteg mit Grace Jones Haarschnitt und teuren Klamotten, Gilles sah aus wie frisch aus der Mülltonne.
Dann kam die Zeit in der er ziemlich weit abrutschte und in Kreise geriet in sich immer sehr nahe am Rande der Legalität aufhielten. Mehr möchte zu dieser Zeit nicht sagen. Es war nicht leicht, für keinen von uns, am aller wenigsten für ihn. Doch er fing sich wieder, machte seinen Schulabschluss in Abendkursen fertig und bekam anschließend eine Stelle bei der Post. Es schien im ziemlich gut zu gehen. Es war die Zeit in der ich insgeheim hoffte dass er irgendwann mal heiraten und Kinder bekommen würde, denn ich hatte für mich bereits entschlossen dass ich dafür nicht geeignet bin. Wir waren noch immer sehr verschieden voneinander, doch wussten wir beide, die Themen elegant zu umgehen in denen wir uns nicht einig waren. Damals merkte ich gut, dass Blut immer dicker ist als Wasser.
Ende Mai 1999 kam der Tag an den ich mich bis heute an jede einzelne Sekunde erinnere obwohl ich ihn gerne vergessen möchte. Es war ein wunderbarer Frühlingstag. Die Sonne schien klar und hell und es war keine einzige Wolke an Himmel. Meine Mutter stand plötzlich in der Tür, zitterte am ganzen Leib und schrie mich fast wie von Sinnen an: Gilles ist tot!
Von da an flossen die Sekunden, die Minuten wie zäher Brei an mir vorbei. Es zerbrach etwas in mir… Ich erspare euch und vor allem mir die Details dieses Tages, weil ich sie nicht noch einmal durchleben möchte indem ich sie hier aufschreibe. Gilles hatte am Abend zuvor einen Motorradunfall und verstarb in der Nacht im Krankenhaus….
Der Tag der Beerdigung war einer der schlimmsten Tage in meinem Leben. Es waren unglaublich viele Freunde von Gilles da, die ich zu einem Teil nicht kannte oder nur vom hörensagen. Was mir nach seinem Tod bewusst wurde und mich sehr schmerzte, war die Tatsache wie wenig ich ihn eigentlich gekannt habe. Ich wurde einige Tage später von seinen Freunden eingeladen zu einem Abendessen das zu seinem Gedenken stattfand. Ich hatte einen kleinen Rekorder mitgenommen um die Geschichten von ihm aufzuzeichnen die ich nicht kannte. Die anderen Seiten von seinem Leben zu erfahren, die mir fremd waren. Wenn ich heute darüber nachdenke waren es klägliche Versuche etwas einen Teil von ihm auferstehen zu lassen, weil es nicht fair war dass er so plötzlich und so früh gegangen war.

Aber nichts ist im Leben so schlecht dass es nicht für etwas gut ist. Ich selbst war damals an einem Punkt in meinem Leben angelangt an dem ich etwas ändern musste. Und stellte mir die Frage, wenn ich an Gilles’ Stelle gewesen wäre, könnte ich dann auf mein Leben zurückblicken und sagen, dass ich das aus meinem Leben gemacht habe was ich immer wollte? Nein! Und ab da fing ich beruflich wieder bei Null an. Ich habe seitdem nie wieder als Friseur im Salon gearbeitet. Es kamen ein paar sehr harte Jahre in denen oft keinen Heller in der Tasche hatte. Doch ich habe meine Entscheidung nie bereut.

Als ich mit diesem Beitrag begann (denn ich habe 2 volle Tage dafür gebraucht) durchstöberte ich meinen CD Schrank weil ich etwas suchte. Dabei vielen mir eine Reihe von Gilles’ CD’s in die Hand von Metallica, AC/DC, Black Sabbath und andere. Ich hatte mir schon oft vorgenommen sie auszusortieren und zu entsorgen, da ich sie mir eh nie anhören werde. Der Stapel liegt seitdem hier. Aber wegwerfen kann ich sie nicht…

Aber hey! Was war noch gleich der Auslöser? Das Album Viva la Vida? Genau.
VIVA LA VIDA!!!

Momemt mal…

Heute:
Bedoin

Bedoin ist eine kleine Stadt mit mit 2600 Einwohnern im Departement des Vaucluse am Fuße des Berges Mont Ventoux im Süden Frankreichs. (Ich muss gestehen dass diese Zahlen und Fakten nicht aus eigener Erfahrung stammen, ich habe sie hier gefunden) Was es alles in Bedoin zu sehen und zu bestaunen gibt weiß ich auch nicht, denn das was ich von Bedoin kenne ist eigentlich recht wenig.

Warum also darüber schreiben?

Das erste Mal als ich dort war, war 1996. Damals war ich noch in meinem früheren Leben als Friseur gefangen mit eigenem Salon und und Mitarbeitern und war todunglücklich. Eine Bekannte (die mir heute eine sehr liebe Freundin geworden ist) fuhr damals schon jedes Jahr Cannes zu den Filmfestspielen weil sie hier in Luxemburg viel mit Film zu tun hat. Es ergab sich dass ich mit hier mitfahren sollte. Die Filmwelt war damals schon mein fast einziger Fluchtpunkt aus der eigenen realen Welt, die ich so wie sie damals war, nicht mehr mochte. Ich regelte im Salon alles so, dass ich mich 2 Wochen freimachen konnte und fuhr mit. Die Freundin selbst hatte in all den Jahren in denen sie schon dorthin fuhr sich ein wie ein kleines Ritual gebastelt, das darin bestand, in Bedoin bei einer alten Freundin von ihr halt zu machen um dort zu übernachten und den Rest der Strecke bis zur französischen Riviera am nächsten Tag zurück zu legen.
Die besagte Freundin in Bedoin, ist aus Deutschland und heißt Rosemarie. Rosemarie war Dozentin an einer Dolmetscherschule in Saarbrücken. Sie wohnt in einem kleinen Landhaus, etwas außerhalb von Bedoin, das mit viel Liebe und Geschmack eingerichtet ist und in dem man sich sofort wohl und willkommen fühlt. Es ist der Süden Frankreichs wie ihn sich erträumt und vorstellt. Ein Haus aus uralten Steinen mit schweren alten Baumstämmen als Dach- und Bodenträger. Die Wände sind naturbelassen. Rund um das Haus befindet sich ein Garten mit allerlei Sträuchern und Rosenstauden, die man in unserer Gegend nur schwerlich zu solcher Größe und Blütenpracht bringen könnte. Über dem Wohnzimmer befindet sich ein Dachgeschosszimmer in dem ich immer schlafen durfte. Dort ist auch die Bibliothek von Rosemarie unterbracht, die zu einem Großteil aus deutschen Büchern besteht. Es war für mich jedes Jahr immer wieder ein kleines Erlebnis, allein mit den Augen über die Buchrücken zu streifen und Autoren und Titel zu entdecken die mir bisweilen völlig fremd waren, oder sehr vertraut.
Rosemarie ist eine Frau die man einfach mögen muss. Sie strahlt eine Herzensgüte und Wärme aus, ist eine herausragende Gastgeberin und experimentierfreudige Köchin. Rosemaries Mann, André, denn ich in meinem ersten Jahr in Bedoin noch kennen lernen durfte,(im Jahr darauf verstarb er) war ein Südfranzose mit dem eigentümlichen Accent den man im Süden Frankreichs hat, und der Offenherzigkeit und Freundlichkeit, wie es sie in unseren Breitengraden nicht gibt.
Ich habe aus den ersten Jahren leider nur sehr wenige Fotos die ich hier einstellen könnte. Eines was mir aber immer im Gedächtnis haften bleibt ist die Aussicht vom Dachzimmer auf den Mont Ventoux.

Das ist der Berg, vom Schlafzimmer aus gesehen. Es war das erste was ich morgens sah, nach einer unendlich friedlichen Nacht und vielen lebhaften Gesprächen die sich nicht ausschließlich um Filme drehten, wie man vermuten könnte.
Rosemarie richtete es manchmal so ein, dass außer uns auch noch andere Gäste im Haus waren. Ich erinnere mich lebhaft an einen Abend bei dem zwei weitere alte Damen zu Gast waren. Françoise und Alma. Françoise die sich für sehr viele Dinge interessierte und sich engagierte wo es nur ging. Sie liebte alte Geschichten und Sagen und ich musste ihr einmal die Geschichte vom Langen Feidt aus Echternach erzählen und wie dabei die Springprozession entstand. Sie war hingerissen. Alma hingegen war eine Art Kunstschneiderin und entwarf japanische Kimonos. Ich kann mich erinnern, dass sie an dem Abend welche mitgebracht hatte. Es waren traumhaft schöne Stücke, die in ihrer Anfertigung so präzise verarbeitet waren, dass man nur staunen konnte. Einen davon hatte ich anprobiert und war hin und weg davon. Aber die Preise der Einzelstücke waren auch dementsprechend, was mich dann doch davon abhielt eines dieser Kunstwerke zu erwerben.
Im letzten Jahr in dem ich dort war, war ebenfalls ein Ehepaar aus dem Saarland zu Gast die per Mobilhome eine Rundfahrt durch ganz Frankreich machten über mehrere Monate. Ich bewunderte die beiden und war zugleich etwas neidisch, da ich das gerne auch gemacht hätte.

Im Nachhinein betrachtet waren die Aufenthalte in Bedoin nichts Großartiges oder gar Pompöses. Es war die Einfachheit und Natürlichkeit mit der sich diese kleinen Zwischenstopps von und nach Cannes abspielten.Es war dieser Garten mit all seinen Gerüchen und Pflanzen, wie man sie nur aus der Provence kennt. Es waren die Grillen die einen abends sanft in Schlaf zirpten. Es war die Stille und Ruhe nach zehn Tagen Filmfestival in denen das Gesehene Revue passieren lassen konnte. Es waren die Gespräche über alles und nichts, über belangloses und tiefgründiges. Es waren die Momente der Stille und des vollkommenen Glücks, ein Augenblick der so perfekt war, dass er nur einen Tag andauern konnte. Meine Gedanken und Ideen sprudelten nur so in meinem Kopf und ich hätte wahrscheinlich Bücher damit füllen können. Und nicht zuletzt war es Rosemarie selbst, die uns diese perfekten Augenblicke bescherte.

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Moment mal…

Heute:
Das Fahrrad

Als Kind lebte ich mit meinen Eltern in einer Siedlung ein wenig außerhalb von Echternach. Auch wenn das Wort Siedlung in der deutschen Sprache einen leichten asozialen Beigeschmack hat, so war es hier genau das Gegenteil. Die Siedlung wurde damals als Beverly Hills von Echternach bezeichnet, was wiederum auch nicht stimmte. Fahrrad fahren war damals eine Pflicht und ich konnte viel früher Radfahren als dass ich schwimmen konnte. (Ist das heute eigentlich auch noch so?) Da in der Siedlung vor allem junge Familien mit Kindern wohnten war natürlich alles voll mit Fahrrädern und jeder, der mit seinem Wagen in die Siedlung fuhr, war immer drauf gefasst, dass ihm an der nächsten Ecke ein King(den Tippfehler lass ich stehn…) Kind mit Fahrrad entgegen kommen konnte. Es wurde dementsprechend langsam gefahren. Später als die Siedlung jeglichem Charme für einen halbwüchsigen Jugendlichen verlor, war das Fahrrad noch viel wichtiger weil man sich damit bis ins Zentrum von Echternach bewegen konnte ohne sich die Füße wund zu laufen. In den Sommerferien war es unabdingbar, da ich jeden Tag zu meinem Ferienjob damit fuhr. Damals ging das noch und der Verkehr, selbst im Sommer mit den Touristen, war nicht so gefährlich.

Heute,… heute würde ich mich nicht mehr trauen durch Echternach mit dem Fahrrad zu fahren. Meine Kinder, wenn ich denn welche hätte, würde ich mit Rad nicht auf die Straße schicken. In den Zeiten blinder Rücksichtslosigkeit, hält die Hauptstadt dem entgegen und führt ein neues Mobilitätskonzept in ein. Velóh! An bestimmten Knotenpunkten kann man sich Fahrräder ausleihen. Für 15 Euro im Jahr ist man in diesem System angemeldet und man bezahlt 1 Euro für 30 Minuten abstrampeln. Zu diesem Zweck wurden schon vor Jahren eine Reihe von Fahrradwegen durch die Stadt angelegt. Aber die wenigsten scheinen sie zu nutzen, da es einfach zu gefährlich ist.
Eine Arbeitskollegin die, wenn sie nicht in Luxemburg arbeitet, in den Niederlanden zu hause ist, bestätigt mir diese Tatsache immer wieder aufs neue. “In Luxemburg ist es lebensgefährlich mit dem Rad auf öffentlichen Straßen zu fahren.”
Am besten habe ich das gemerkt als ich vorgestern in Amsterdam war. Dort ist bekanntlich alles voll von Fahrrädern. Neben den Autos und Fußgängern kommen die bisweilen recht kühnen Radfahrer hinzu auf die man auch noch acht geben muss. Ich muss gestehen, dass die Radfahrer mich ziemlich nervös machten, vor allem beim rückwärts einparken. Ich war froh als ich nach zwei Stunden wieder aus dem Zentrum der Stadt raus war.
Seitdem lässt mich diese Thema nicht mehr los. Mal davon abgesehen, dass es in Luxemburg nicht so schön flach ist wie in Holland, um mit dem Rad recht unbeschwerlich weiter zu kommen, ist es schlicht und einfach eine Tatsache der Gewöhnung. Wir sind es nicht gewohnt zusätzlich noch auf Drahtesel im Straßenverkehr aufzupassen. Im Gegenteil. Man wird fuchsig wenn man ihnen begegnet. Ich mache da keine Ausnahme. Als ich gestern zu Hauptverkehrszeit aus Luxemburg nach Echternach unterwegs war, hatte ich zwei Möchtegern Sportler vor mir auf der sehr gefährlich Strecke zwischen Waldhof und Gonderange im strömenden Regen, die nicht hintereinander fuhren, sondern hübsch nebeneinander. Das animiert natürlich zu Flüchen und waghalsigen Überholmanövern.

Es wird noch dauern bis wir uns an den Drahtesel in Luxemburg gewöhnt haben. Ich glaube eh nicht daran, dass er in Luxemburg-City eine wirkliche Chance hat.

Moment mal…

Heute:
Großmutter Marie

Wenn ich heute an eine Person aus meiner Familie denke, die mir immer noch enigmatisch erscheint, dann ist es meine Großmutter väterlicherseits. (Die Großväter habe ich nie kennengelernt, da beide sehr früh verstarben, der eine als mein Vater 17 Jahre alt war, der andere als meine Mutter 10 Jahre war)
Großmutter Marie starb 1994 nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt.

Geboren wurde sie in Straßburg. Ich weiß eigentlich gar nichts von ihrer Kindheit, da sie wissentlich nichts darüber erzählt hat. Mit Sicherheit weiß ich aber dass sie als junges Mädchen mehrfach in der Schweiz bei Angehörigen in Ferien war, was auf den Familienstamm ihrer Mutter bzw. meiner Urgroßmutter zurückzuführen ist. In ihrem Nachlass fand ich später nämlich zwei Tagebücher eines Onkels, der im französischen Teil der Schweiz wohnte.
Nachdem sie die Haushaltsschule abgeschlossen hatte und eine Ausbildung als Sekretärin hinter sich gebracht hatte, ging sie in die Lehre bei einem Kunstmaler in Straßburg um Ölmalerei zu erlernen. Jedoch war damals wie heute, die Kunstmalerei als brotlose Kunst verschrien und sie nahm eine Stelle als Schreibkraft bei der französischen Bahn an. Doch das Malen blieb ihr Hobby bis ins hohe Alter. Wir haben heute noch zahlreiche Bilder von ihr. Bei der Bahn lernte sie meinen Großvater kennen und sie heirateten. Ob es ein gute oder schlechte Ehe war kann ich nicht sagen da sie nie darüber sprach. Ich nehme an dass die Ehe mehr Tiefen als Höhen hatte. Sie sprach zumindest immer davon dass sie nach ihrem Ableben in Straßburg im Grab ihrere Mutter beigesetzt werden wolle und nicht nach Mulhouse von der Großvater begraben ist. In ihrem Nachlass fand ich später eine Reihe von Briefen mit einem Schleifchen zusammengebunden, von einem Mann der NICHT mein Großvater war. Von der Datierung her muss es vor meinem Großvater gewesen sein. Was aus dem Mann wurde, ob es je zu einer amoureusen Verbindung kam weiß ich nicht. Ich weiß nur dass die Urgroßmutter sehr die Hand darüber hielt und ihre Töchter mit einem Mann verheiratet sehen wollte, der sich finanziell gut stand. Als der Großvater an einer Jodvergiftung in Krankenhaus während einer Untersuchung starb, verkaufte sie das Haus in Straßburg und zog aufs Land.

Großmutter Marie hatte eine jüngere Schwester namens Alice. Alice hatte unter mir unbekannten Umständen einen luxemburger Stahlarbeiter kennengelernt. Er hieß Jules. Jules und Alice heirateten und Alice zog nach Luxemburg. Als die Urgroßmutter nicht mehr allein sein konnte, beschloss Alice sie mit nach Luxemburg zu nehmen und sie kam in die Altenstation der Klinik in Hamm. Mein Vater verbrachte viele Ferien in Luxemburg bei seiner Tante Alice und Onkel Jules, der später mein Taufpate werden sollte. So lernte mein Vater meine Mutter kennen die dort als Krankenschwester arbeitete.

Jetzt war Großmutter Marie die Einzige die noch in Frankreich lebte. Sie beschloss ebenfalls nach Luxemburg zu ziehen um näher bei ihrem Sohn und der Schwester zu sein.
Im Nachhinein betrachtet war es ein Fehler, denn sie gewöhnte sich bis an ihr Ende nie richtig in Luxemburg ein. Im Gegensatz zu Tante Alice die später fließend Luxemburgisch redete, sprach Großmutter Marie mit uns nur Elsässisch oder Französisch. Sie bemühte sich sehr eine gute Großmutter zu sein und versuchte zu helfen wo es ging. Jedoch merkte man dass sie es mehr aus einem anerzogenen Pflichtbewusstsein tat. Sie interessierte sich für die schönen Dinge des Lebens, für Kunst und Kultur, für Malerei und Esoterik. In Ihrem Nachlass fand ich später eine unglaubliche Auswahl an esoterischer Literatur und Berichte von übernatürlichen Phänomenen. Sie versuchte sich so gut es ging in Echternach einzuleben in dem sie dem Verein der Frauen und Mütter beitrat. Da sie in ihrer Jugend Klavierunterricht genommen hatte und eine recht gute Singstimme besaß, war sie ebenfalls Mitglied des Kirchchors. Sie verstand nämlich später gut luxemburgisch und sang auch all die luxemburgischen Lieder mit, doch luxemburgisch sprechen habe ich sie nie gehört. Sie bemühte sich redlich, doch brachte sie es nie fertig ein paar richtig gute Freunde in Echternach zu finden. Sie hielt alles und jeden immer auf Distanz und wurde immer wie ein Sonderling betrachtet. Mehr als Bekanntschaften konnte sie nicht herstellen.
Als ich so um die sechs oder sieben Jahre alt war, fingen die Neurosen an und sie stellte damit meine Eltern auf eine schwere Probe. Vor allem mein Vater hatte sehr darunter zu leiden. Großmutter Marie behauptete fest und steif dass man sie beklauen würde. Es verschwanden immer wieder Dinge aus der Wohnung und sie beschuldigte die Nachbarn und Vermieter. Doch stellte sich immer wieder heraus, dass sie die Dinge entweder verlegt oder versteckt hatte und die Beschuldigten waren zur Tatzeit gar nicht da. Sie verscherzte es sich so mehrfach mit den Vermietern und musste immer wieder umziehen. Irgendwann brachte meine Mutter sie zu einem Psychiater der sie eingehend untersuchte und zum Schluss kam, dass sie unter Wahnvorstellungen litt. Doch meine Mutter brachte es nicht übers Herz, allein schon meinem Vater zuliebe, sie in eine Anstalt einweisen zu lassen. Die letzte Wohnung in die sie zog, hatten meine Eltern die Vermieter vorgewarnt und sie zeigten Verständnis dafür. In dieser Wohnung lebte sie bis an ihr Ende und schien dort recht glücklich zu sein, denn niemand beachtete mehr ihre Wahnvorstellungen und irgendwann sprach sie auch nicht mehr davon. Der Zwang jeden Schrank und jede Tür abzuschließen, selbst dann wenn sie in der Wohnung war, blieb bis zum Schluss.
Dass sie für dieses Leben, das sie geführt hatte nicht gemacht gewesen war, merkte ich am besten, am Tag als mein Vater beerdigt wurde. Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit der Natur wenn die Kinder vor den Eltern gehen müssen, und als mein Bruder starb, war meine Mutter kurz davor wahnsinnig vor Trauer und Schmerz zu werden. Großmutter Marie jedoch stand am Sarg ihres Sohnes, seltsam distanziert, war ein wenig betroffen und zugleich beeindruckt über die Riesenmenge an Freunden und Bekannten die sich eingefunden hatten. Sie führte mit mir und auch mit anderen die sie kannte gepflegte Konversation, wie sie es immer tat. Sie hielt ein Taschentuch in der Hand, drückte es hin und wieder auf die Augen, aber wirklich geweint hat sie nicht.

Ich glaube sie hat meinen Vater nie richtig gemocht…

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